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Der englische Zivilprozess folgt ganz anderen Spielregeln als denen, die deutsche Unternehmer und deren Rechtsberater aus der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO) kennen. Engländer preisen ihr Rechtssystem als fair und effizient und werben selbstbewusst für London als den besten Gerichtsstandort für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten (business disputes). Den Aspekt fair kann man duchaus gelten lassen. Gleichzeitig muss man aber wissen, dass ein Zivilprozess in England um ein Vielfaches teurer und aufwendiger ist als man das aus Deutschland kennt. Die Prozesskosten können in England höher sein als der Streitwert. Aus Sicht eines deutschen Anwalts eine absurde Vorstellung: Man verklagt jemanden auf 200.000 Euro, verliert und hat dann nicht nur keinen Anspruch gegen den Belagten, sondern muss diesem auch noch 300.000 Euro an Prozesskosten erstatten. Zugegeben, ein Extrembeispiel, aber das kann vor einem englischen Gericht passieren.
Zivilprozess in England: Welche Spielregeln gelten?
Bei einem Gerichtsverfahren in England handelt sich eben nicht „um einen normalen Zivilprozess, nur in englischer Sprache“, wie viele deutsche Unternehmer, Manager und deren Juristen (in der hausinternen Rechtsabteilung oder in externer Kanzlei) anscheinend häufig denken. Weit gefehlt! Stellt ein deutsches Unternehmen fest, dass für einen Vertragskonflikt die englischen Gerichte zuständig sind, ist die Lage dramatisch. Denn die beruflichen Instinkte, die einen deutschen Prozessanwalt erfolgreich machen, führen im englischen Zivilprozess ins Verderben. Strategien, die vor deutschen Gerichten zum Ziel führen, lösen in England einen Haftungsfall für den Anwalt aus. Ein Beispiel hierfür ist „aggressive“ Prozessführung. Deutsche Prozessanwälte formulieren oft scharf und angriffslustig. Das ist in Deutschland auch OK, denn das Bundesverfassungsgericht hat unter der berühmt gewordenen Formulierung „Kampf ums Recht“ sogar polemische und überspitzte Kritik, selbst am Gericht und an der Staatsanwaltschaft, für ausdrücklich zulässig erklärt.
Ganz anders auf der britischen Insel: Solch offen gezeigte Kampflust führt in England ins Verderben, denn die oberste Grundregel des englischen Zivilprozessrechts ist: Der Rechtsstreit soll möglichst gar nicht erst vor Gericht kommen, die Behelligung des Gerichts ist ultima ratio. In jeder Phase des Konflikts sollen die Prozessparteien und deren Anwälte daher „vernünftig“ (reasonable) agieren. Wer sich nicht daran hält, macht sich beim Richter unbeliebt.
Deutschen Juristen komplett fremd ist zudem das Prinzip der disclosure, also die Pflicht, der Gegenseite sämtliche Unterlagen im Zusammenhang mit dem Rechtsstreit proaktiv offen legen zu müssen – auch interne Korrespondenz zwischen den eigenen Mitarbeitern, Protokolle interner Besprechungen, Memos und Aktennotizen.
Ein weiteres Beispiel für den anderen „Spirit“ des englischen Zivilprozesses: Zeugen und Parteivertreter, etwa der Geschäftsführer der Klägerin, müssen ihre Aussagen vorab detailliert ausformuliert in schriftlicher Form bei Gericht einreichen, eigenhändig unterzeichnet und versehen mit einer eidesstattlichen Versicherung, dass der Inhalt richtig ist. Das diszipliniert die Parteivertreter und deren Anwälte enorm.
Handbuch zum englischen Zivilprozess
Rechtsanwalt Bernhard Schmeilzl fasst seine praktischen Erfahrungen aus gut 20 Jahren anwaltlicher Beratung deutscher Unternehmer und Privatmandanten vor englischen Gerichten in seinem Buch "Der Zivilprozess in England" zusammen, einem Praxisleitfaden, der jüngst bei C.H.BECK erschienen ist, und deutschen Firmeninhabern, Geschäftsführern, Justiziaren in Rechtsabteilungen und externen Rechtsanwälten ein realistisches Bild vom Ablauf eines englischen Zivilprozesses vermittelt.
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Bernhard Schmeilzl
Rechtsanwalt & Master of Laws