Wozu überhaupt ein Erbvertrag?
Viele kontinentaleuropäische Länder, deren Zivilrecht auf dem französischen Code Civil (Code Napoleon) basiert oder jedenfalls davon beeinflusst ist, kennen neben dem klassischen Testament (will) auch das gemeinschaftliche Ehegattentestament (joint spousal will) und sogar den Erbvertrag ("inheritance contract" oder "contract of inheritance").
Wie der Begriff Vertrag bereits aussagt, binden sich dabei die Parteien, d.h. man verpflichtet sich in einem Erbvertrag, sein Vermögen an eine (oder mehrere) bestimmte Person(en) zu vererben. Und dabei bleibt es dann auch. Während ein Testator bei einem normalen Testament seine Meinung jederzeit ändern und ein neues Testament mit anderem Inhalt erstellen kann, kommt man aus einem Erbvertrag nur unter sehr engen Voraussetzungen wieder "heraus", wie bei jedem anderen Vertrag eben auch (zum Beispiel per Anfechtung wegeh Irrtums, Täuschung o.ä.). Die Hürden sind hoch. Deshalb ist ein Erbvertrag ja auch nur wirksam, wenn dieser von einem Notar beurkundet wurde. Dessen Job ist es, die Parteien juristisch aufzuklären und zu fragen, ob sie diese wichtige und prinzipiell irreversible Entscheidung auch wirklich treffen wollen.
Der Sinn und Zweck eines Erbvertrags ist, dass sich die jeweils andere Partei darauf verlassen kann, dass er/sie oder eine nahestehende Person (Kinder, Enkel) Erbe bzw. Schlusserbe wird. Man setzt also zum Beispiel seinen Ehegatten zum Alleinerben ein, weil dieser sich im Gegenzug verpflichtet, die gemeinsamen Kinder zu Schlusserben einzusetzen. Oder die Ärzte ohne Grenzen. Oder den Hamburger Sportverein. Wen auch immer. Jedenfalls will der zuerst versterbende Vertragspartner sicher sein können, dass nach seinem/ihrem Tod genau das passiert, was man vorher gemeinsam im Erbvertrag festgelegt hat.
Common Law Rechtsordnungen kennen keine Erbverträge
Der Rechtstradition des Common Law ist dieser Gedanke der testamentarischen Bindung fremd. Dort soll man stets frei sein, es sich noch einmal anders überlegen zu können, wem man sein Vermögen vermacht. Man kennt daher in UK, USA, Australien usw. zwar "mutual wills" oder "mirror wills", also inhaltlich identische Einzeltestamente, aber eben keine Eheverträge mit Bindungswirkung.
Sind deutsche Eheverträge also in England unwirksam?
Was aber, wenn ein deutsches Ehepaar in Deutschland einen deutschen Ehevertrag geschlossen hat, der zuerst verstorbene Ehegatte aber ein Bankkonto oder eine Eigentumswohnung in UK besaß. Ist der deutsche Ehevertrag aus Sicht des englischen Nachlassgerichts dann unwirksam bzw. in UK unanwendbar, mit der Folge, dass für das UK Asset dann die gesetzliche Erbfolge (intestacy rules) gilt, statt des Ehevertrags?
Nehmen wir das Ergebnis gleich vorweg: Nein, Eheverträge, die nach deutschen (schweizer, österreichischem etc.) recht wirksam geschlossen sind, werden auch in England anerkannt. Nur eben nicht die Bindungswirkung. Anders formuliert: Der Ehevertrag wird in ein "normales" Testament umgedeutet. Auf Englisch klingt das so:
"An inheritance contract will be recognised as a testamentary disposition (letztwillige Verfügung or Verfügung von Todes wegen) if it is a valid testamentary disposition in accordance with the relevant private international law rules."
Wenn also im konkreten Fall nicht ausgerechnet ein Streit über die Wirksamkeit der Bindungswirkung des Erbvertrags besteht, dann wendet das englische Nachlassgericht den Inhalt des Erbvertrags so an, als wäre der Erbvertrag ein normales Testament. In der Praxis kann es für den Erbscheinsantragsteller dennoch einigen Aufwand erzeugen, dem englischen Nachlassgericht (probate registry) den Inhalt des deutschen Erbvertragszu erklären. Oft verlangt das englische Nachlassgericht ein Rechtsgutachten (affidavit of law) eines Anwalts oder Notars des Landes, in dem der Erbvertrag errichtet wurde (Deutschland, Österreich, Schweiz).
Mehr zum Erbrecht von England und Wales hier
- Blog "Erbschaft in England": https://erbschaft-in-england.de/
- Blog Erbrecht in UK, US, Kanada, Australien: https://www.cross-channel-lawyers.de/?s=erbrecht