06.09.2024 |

Widerruf eines Testaments nach englischem Recht

Gilt dieses Testament noch?

Vor Gericht landen erstaunlich oft Fälle, in denen die Parteien darüber streiten, ob ein Testament wirksam widerrufen wurde oder ob es nach wie vor gilt. Besonders riskant ist es, wenn ein Deutscher, der in UK lebt und dort ein englisches Testament erstellt hat, dieses dadurch versucht zu widerrufen, indem er oder sie das Testament durchstreicht und/oder mit einem handschriftlichen Vermerk "widerrufen" oder "ungültig" oder "nicht mehr wirksam" versieht. Nach englischem Erbrecht ist das nämlich KEIN wirksamer Widerruf und das Testament gilt aus Sicht des englischen Erbrechts weiter.

Verblüffende Unterschiede zwischen englischen und deutschen Erbrechtsvorschriften zum Widerruf

Das deutsche Erbrecht ist ziemlich großzügig, was die Möglichkeiten für den Testamentsersteller betrifft, sein bisheriges Testament ungültig zu machen. Der Königsweg, ein überholtes Testament zu widerrufen, ist - sowohl in Deutschland wie auch in England - dies in einem neuen Testament ausdrücklich anzuordnen. Erbrechtsanwälte raten deshalb immer dazu, am Anfang eines Testaments den Standardsatz aufzunehmen: "Hiermit widerrufe ich alle früheren Testamente".

Will jemand aber sein bisheriges Testament ungültig machen, etwa weil er sich gerade mich dem im Testament zum Erben bestimmten Enkel, Bruder oder Freund zerstritten hat, weiß aber noch nicht genau, welchen Inhalt ein neues Testament haben soll, dann liegt es nahe, das alte Testament erst einmal nur ungültig zu machen, ohne sofort ein neues Testament zu schreiben.

Das deutsche Erbrecht gibt dem Testamentsersteller hierfür einen sehr weiten Spielraum, denn § 2255 BGB regelt:

Ein Testament kann auch dadurch widerrufen werden, dass der Erblasser in der Absicht, es aufzuheben, die Testamentsurkunde vernichtet oder an ihr Veränderungen vornimmt, durch die der Wille, eine schriftliche Willenserklärung aufzuheben, ausgedrückt zu werden pflegt. Hat der Erblasser die Testamentsurkunde vernichtet oder in der bezeichneten Weise verändert, so wird vermutet, dass er die Aufhebung des Testaments beabsichtigt habe.

Der widerrufswillige Testator kann das überholte Testament also zerreißen oder verbrennen, ggf. auch nur zerknüllen und in den Papierkorb werfen, aber er kann es auch nur durchstreichen oder mit einem Vermerk "ungültig" oder "widerrufen" versehen (siehe das Titelfoto dieses Beitrags). Selbst ohne Unterschrift wäre ein solcher Widerruf wirksam, wenn man das Nachlassgericht davon überzeugen kann, dass die Streichung wirklich vom Erblasser vorgenommen wurde. Sagt also jemand als Zeuge aus "Ja, der Verstorbene hat nach einem Telefonat mit seinem Neffen, der im Testament als Erbe benannt war, das Testament durchgestrichen", dann ist das Testament wirksam widerrufen. Auch ohne Unterschrift des Erblassers. Nach deutschem Rech wäre das Testament auf dem Titelbild also eindeutig wirksam widerrufen, also ungültig.

Strengere Widerrufsvorschriften des englischen Erbrechts

Ganz anders nach den Vorschriften des Erbrechts von England und Wales. Ein simples Durchstreichen oder ein handschriftlicher Vermerk "unwirksam", "widerrufen", "revoked" oder "invalid" macht ein Testament nach englischem Recht NICHT ungültig, nicht einmal, wenn der Vermerk oder die Streichung vom Erblasser unterzeichnet ist. Hintergrund ist, dass Änderungen oder der Widerruf eines englischen Testaments entweder - wie die Erstellung des Testament - von zwei Zeugen (witnesses) bestätigt sein müssen oder der Erblasser das überholte, veraltete Testament tatsächlich "zerstören" muss (physical destruction of the will). Letzteres ist dann auch ohne Gegenwart von Zeugen wirksam.

Um juristisch ganz präzise zu sein, verlangt Section 20 of the Wills Act 1837 "burning, tearing or otherwise destroying the same by the testator or by some person in his presence and by his direction with the intention of revoking the same”, also zwei kumulative Tatbestandsmerkmale, um ein Testament wirksam zu widerrufen:

  • Physical destruction of the will: Also die tatsächliche "Vernichtung" des Testamentsdokumentes. Ein einfaches Durchstreichen oder Auskreuzen des Textes genügt - im Unterschied zur Rechtslage in Deutschland - in England und Wales also gerade nicht. Ebenso wenig ein handschriftlicher Vermerk "ungültig" o.ä. Im Streitfall muss natürlich nachgewiesen werden, dass der Testator selbst (oder jemand in dessen Auftrag und in dessen Gegenwart) das Testament vernichtet hat. Auf Englisch: "The destruction must be carried out by the testator themselves or by someone else in the testator’s presence and by their direction."
  • Intention to revoke: Der Testator muss die Absicht haben, sein Testament zu widerrufen. Zerreißt er sein Testament also zum Beispiel versehentlich in einem Stapel von vermeintlichem Altpapier, dann ist es nicht widerrufen. Ebenso ist es nicht wirksam widerrufen, wenn der Testator zur Zeit der Vernichtung des Testaments nicht mehr geschäftsfähig ist (lack of testamentary capacity). Die Beweisführung ist in solchen Fällen natürlich meist sehr schwierig.

Die Entscheidung Cheese v Lovejoy (1877) 2 PD 251

Die rund 150 Jahre alte Gerichtsentscheidung Cheese v Lovejoy aus 1877 verdeutlicht, dass das englische Recht definitiv auf beiden Tatsbestandsmaerkmalen kumulativ (ergänzend) besteht.

Die Fakten des Falles: Einige Jahre nach Erstellung des Testaments strich der Testator einige Passagen des Testaments durch. Schrieb er eigenhändig “This is revoked” ("Dies ist widerrufen") auf die Rückseite des Testaments und warf es auf einen Stapel Altpapier in seinem Zimmer. Die Haushälterin holte es wieder aus dem Altpapier heraus und legte es auf einen Tisch in der Küche, wo es bis zum Tod des Testators acht Jahre später (!) liegen blieb.

Das Urteil: The Gericht entschied, dass das Testament nicht wirksam widerrufen war, denn Section 20 of the Wills Act 1837 verlangt eben ausdrücklich beides zusammen: die Zerstörung und die Absicht des Widerrufs. Obwohl der Testator sein Testament hier ganz eindeutig beseitigen wollte, scheiterte der wirksame Widerruf hier eben an der "körperlichen Vernichtung des Dokumentes". In der erfrischend klaren Sprache der englischen Richter:

All the destroying in the world without intention will not revoke a will, nor all the intention in the world without destroying; there must be the two.

Weitere Voraussetzungen und Ausnahmen

Wie oben bereits erwähnt, setzt ein wirksamer Widerruf voraus, dass der Testator zur Zeit der Widerrufshandlung geschäftsfähig (noch präziser testierfähig) sein muss. Er muss denselben Grad an Geschäftsfähigkeit besitzen wie bei Erstellung eines Testaments (the testator must have the same degree of mental capacity being required as for making a Will). Ein Widerruf ist somit unwirksam, wenn der Testator nachweislich testierunfähig war. In der Praxis relevant sind aber auch Fälle, in denen ein Testament widerrufen wurde, während der Testator:

  • betrunken war oder sonst unter Drogeneinfluss stand
  • sich in einem "Irrsinnsanfall" befand ("in a fit of madness") oder
  • er unter falschen Annahmen handelte (acting on any assumption of fact which proves false).

Auch in all diesen Fällen ist die Beweisführung für denjenigen, der den wirksamen Widerruf eines Testaments behauptet, meist ein Alptraum.

Fazit

Ein Testament wirksam zu widerrufen, ist somit gar nicht so einfach. Die sicherste Variante ist nach wie vor, ein neues (formwirksames!) Testament zu erstellen und das frühere Testament darin ausdrücklich zu widerrufen.

In Fällen, in denen man nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzlandes des Erblassers zum Ergebnis kommt, dass der Widerruf unwirksam ist, kann man als letzten Strohhalm prüfen, ob der Widerruf vielleicht nach den Regeln des Landes wirksam sein kann, dessen Staatsangehörigkeit der Erblasser hatte. Hatte zum Beispiel ein Testator, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, zur Zeit seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt in England und Wales und versucht dieser, sein Testament per handschriftlichem Vermerk wie auf dem Titelbild dieses Beitrags zu widerrufen, dann ist das nach englischem Recht unwirksam. Aber man kann argumentieren, dass das englische Recht die Formerfordernisse für die wirksame Erstellung eines Testaments des Heimatstaates (hier Deutschland) anerkennt (Section 1 Wills Act 1963) und dies dann auch für den Widerruf gelten muss. Hier wandert man rechtlich aber auf dünnes Eis.

Weitere Informationen zum Erbrecht von England und Wales:

Kategorie: ErbrechtZivilrecht

Autor
Bernhard Schmeilzl

Bernhard Schmeilzl

Rechtsanwalt & Master of Laws

+49 (0) 941 463 7070 schmeilzl@grafpartner.com

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