Im englischen Erbrecht hat der überlebende Ehegatte eine viel stärkere Stellung als in Deutschland
Selbst wenn der Verstorbene Kinder hat, bekommt der länger lebende Ehegatte oft die gesamte Erbmasse
Verstirbt jemand ohne ein Testament, der verheiratet war und Kinder hatte, dann ist die Fausregel nach deutschem Erbrecht: Der überlebende Ehegatte erhält die Hälfte des Nachlassvermögens, das Kind (oder die Kinder) die andere Hälfte. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Eheleute im gesetzlichen Güterstand verheiratet waren, also keinen Ehevertrag mit abweichendem Güterstand abgeschlossen hatten.
Gesetzliche Erbfolge (intestacy rules) nach dem Erbrecht von England und Wales
Nun ordnet das englische Erbrecht (succession law) auf den ersten Blick aber doch exakt dasselbe an: Section 46 des Administration of Estates Act 1925 regelt zur gesetzlichen Erbfolge in England und Wales (in Schottland gelten andere Erbrechts-Regeln):
... the residuary estate (other than the personal chattels) shall be held:
(a) as to one half, in trust for the surviving spouse or civil partner absolutely, and
(b) as to the other half, on the statutory trusts for the issue of the intestate.
Auch nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge des englischen Erbrechts (also ohne Testament) erhält der überlebende Ehegatte (surviving spouse) bzw. eingetragene Lebenspartner (surviving civil partner) die Hälfte des Nachlassvermögens (residuary estate), die Abkömmlinge (issue), also das Kind bzw. die Kinder (oder Enkel, falls ein Kind vorverstorben ist) die andere Hälfte.
Wo ist also der Unterschied zu Deutschland?
Ehegatten erhalten in England ein gesetzliches Vorausvermächtnis
Der erste Unterschied ist, dass der überlebende Ehegatte (bzw. eingetragene Lebenspartner) automatisch ein gesetzliches Vorausvermächtnis (statutory legacy) in Höhe von derzeit 322.000 Pfund erhält. Die "ersten" 322.000 Pfund aus dem Nachlass gehen nach den Regeln des englischen Erbrechts also stets an den Ehegatten, erst das darüber hinaus gehende Vermögen wird 50/50 verteilt. Mehr zum Ehegatten-Vorausvermächtnis hier: www.cross-channel-lawyers.de/aenderung-im-englischen-erbrecht-zum-juli-2023/
Übrigens erhält der überlebende Ehegatte auch die sogenannten"chattels" vorab, also die persönlichen Gegenstände des Verstorbenen wie Uhren, Schmuck und Haushaltsgegenstände, aber auch das Auto.
Das Familienheim geht in England meist außerhalb des Nachlasses auf den überlebenden Ehegatten über
Der zweite, wirtschaftlich sogar noch wichtigere Unterschied zu Deutschland ist, dass Eheleute in England ihr Haus bzw. ihre Wohnung meist als "joint tenants" halten, also als Gesamthandseigentümer. Das bedeutet, dass der Miteigentumsanteil an der Immobilie, die dem verstorbenen Ehegatten gehört, automatisch und sofort (in der Sekunde des Todes) auf den anderen Ehegatten als Miteigentümer übergeht (transfer by survivorship). In Deutschland ist diese "Anwachsung beim Miteigentümer" der Ausnahmefall und muss ausdrücklich vereinbart werden, in England ist dieser automatischje Übergang "außerhalb der Erbfolge" (outside of probate) die Regel.
Details zum Thema "joint tanancy" im Unterschied zur "tenancy in common" in diesem Beitrag: www.cross-channel-lawyers.de/wer-schon-hat-dem-wird-gegeben/
Fazit: Ehegatte erhält die Immobilie und 322.000 Pfund vorab
Verstirbt also ein Ehepartner, der Kinder hatte, ohne ein Testament zu hinterlassen, so erhält nach gesetzlicher Erbfolge in England und Wales der überlebende Ehepartner die Miteigentumshälfet des Verstorbenen am Haus sowie die chattels und 322.000 Pfund aus dem Nachlass.
Nur wenn danach überhaupt noch etwas übrig ist, kommen die Kinder des verstorbenen Erblassers ins Spiel und erhalten die Hälfte dieses weiteren Nachlassvermögens. In vielen Fällen gehen die Kinder also leer aus, zumal auch die Pensionsleistungen und Lebensversicherungen meist direkt an den Ehegatten ausgezahlt werden, also ebenfalls "outside of the estate".
All diese Unterschiede im Erbrecht von England und Deutschland sollten deutsche Expats und internationale Familien mit Hauptwohnsitz in England wissen. Durch ein Testament und geschickte (auch steuerliche) Nachlassplanung kann man von diesen gesetzlichen Regeln natürlich abweichen, da diese - vor allem bei Vermögen in Deutschland - nicht unbedingt zu günstigen steuerlichen Ergebnissen führen.
Informationen zu Nachlassplanung, Testamentsgestaltung und Erbfallabwicklung mit Bezug zu England:
- Erbfall und Nachlasabwicklung in England: Checkliste für Erbscheinsantrag in England und Erbschaftsteuererklärung in UK
- Anrechnung von Erbschaftssteuer zwischen Deutschland und England
Rechtsanwalt Schmeilzl ist seit 2001 auf deutsch-englisches Erbrecht spezialisiert. Der Experte für grenzüberschreitende Erbfälle wickelt internationale Nachlässe ab und berät deutsch-britische Familien bei der optimalen Testamentsgestaltung und Steuerplanung.
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