02.07.2024 |

Der Vertragsschluss im englischen Recht

Wie kommt in England ein Vertrag zustande?

Die im englischen Recht geltenden Voraussetzungen für einen wirksamen Vertragsschluss sind für deutsche Juristen auf den ersten Blick eigentlich kaum überraschend: Verlangt werden zwei übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot (offer) und Annahme (acceptance). Ebenso wie im deutschen Vertragsrecht müssen offer & acceptance ausreichend bestimmt (definite) und von einem (nach objektivem Empfängerhorizont festzustellenden) Rechtsbindungswillen (intention to be legallly bound) getragen sein.

Drei zentrale Besonderheiten fallen aber ins Auge: Zum einen gibt es im englischen Recht mit der sog. „consideration“ eine im deutschen Vertragsrecht gänzlich unbekannte zusätzliche Voraussetzung für einen wirksamen Vertragsschluss. Damit hängt auch eine zweite Besonderheit des englischen Vertragsrechts zusammen - die Möglichkeit für den Anbietenden, das Angebot vor Annahme jederzeit zurückzunehmen – und zwar (seltsam, aber wahr) selbst dann, wenn das Angebot für eine bestimmte Frist ausdrücklich als unwiderruflich gekennzeichnet ist. Eine dritte Besonderheit ist die sog. „mailbox rule“, die es für die Wirksamkeit einer Annahmeerklärung unabhängig von ihrem Zugang beim Anbietenden schon ausreichen lässt, wenn die Annahmeerklärung der Post übergeben wird.

1. Die „doctrine of consideration“ und ihre Ausnahmen

Nach der im englischen Vertragsrecht (noch) geltenden „doctrine of consideration“ muss eine Vertragspartei im Gegenzug für das zu ihren Gunsten abgegebene Leistungsversprechen gegenüber der anderen Partei selbst ein Leistungsversprechen abgeben, das zumindest irgendeinen Wert im Rechtssinn hat. Wirtschaftlich mit der Gegenleistung gleichwertig muss das Leistungsversprechen nicht sein (“consideration must be sufficient but it need not be adequate”); es reicht also (wie das sprichwörtliche „peppercorn“) eine rein nominelle Gegenleistung vollkommen aus. Die andere Partei muss auch nicht zwingend Begünstigte des Leistungsversprechens sein (“consideration must move from the promisee, but it need not move to the promisor”). Für eine „consideration“ nicht ausreichend sind dagegen in der Vergangenheit (also vor Vertragsschluss) erbrachte Leistungen einer Partei („past consideration is no consideration“). Etwas anderes gilt nur, wenn die in der Vergangenheit erbrachte Leistung auf Wunsch der anderen Partei erfolgte und beide Parteien bereits zu diesem Zeitpunkt von einer dafür noch zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringenden Gegenleistung der anderen Partei ausgegangen waren.

Grundsätzlich gilt also: Informelle und lediglich einseitig begünstigende Verträge sind im englischen Vertragsrecht grundsätzlich unwirksam.

In der Praxis stellt die „considerationjedenfalls bei gegenseitigen Verträgen (Kaufverträge, Dienst- und Werkverträge, Mietverträge etc.) naturgemäß kein Problem dar. Relevant kann ihr mögliches Fehlen aber bei einseitig begünstigenden Änderungsvereinbarungen oder a priori einseitig begünstigenden Vertragstypen werden – wie etwa Sicherungsvereinbarungen (Bürgschaften, Garantien), aber ggf. auch Vertraulichkeitsvereinbarungen oder Rahmenverträge aller Art.

Das auch englische Juristen mit der „doctrine of consideration“ nicht mehr besonders glücklich sind, lässt sich an einer Reihe von Ausnahmetatbeständen erkennen, die von der Rechtsprechung entwickelt wurden, um die sich aus einer Berufung auf eine mangelnde „consideration“ ergebenden Härten abzumildern:

·       Zum einen können mit dem aus dem Billigkeitsrecht der „equity“ stammenden Unbilligkeitseinwand der sog. „promissory estoppel“ zumindest Ansprüche abgewehrt werden, die der Gläubiger auf die Unwirksamkeit einer entsprechenden Änderungsvereinbarung mangels consideration stützt. Voraussetzung dafür ist, dass die Änderungsvereinbarung klar und eindeutig war, die andere Partei im Vertrauen auf ihre Wirksamkeit für sie nachteilige Dispositionen vorgenommen und sich zudem selbst zudem nicht treuwidrig verhalten hat. Einen eigenen Anspruch begründen kann die promissory estoppel allerdings nicht (“equity is a shield and not a sword”). Schulfall ist das Judikat des legendären Richters Lord Denning am Court of Appeal in der Rechtssache Central London Property Trust Ltd v High Trees House Ltd aus der Nachkriegszeit. In dem hier maßgeblichen Sachverhalt hatte sich ein Vermieter während des zweiten Weltkriegs aufgrund einer hohen Leerstandsquote mit dem Hauptmieter eines großen Apartmentkomplexes über eine Reduzierung der Miete verständigt. Nach Kriegsende verlangte der Vermieter unter Berufung auf die für den Hauptmieter einseitig begünstigende (und daher mangels consideration seiner Auffassung nach unwirksame Änderungsvereinbarung) die ursprüngliche (höhere) Miete auch mit Wirkung für die Vergangenheit. Der Court of Appeal gab diesem Verlangen nur mit Wirkung für die Zukunft statt. Zumindest für die Vergangenheit konnte sich der Beklagte auf „promissory estoppel“ berufen, weil er auf die Änderungsvereinbarung über eine Mietsenkung vertraut und sein Verhalten auf die Gültigkeit der Änderungsabrede ausgerichtet hatte.

·       Darüber hinaus hat die Rechtsprechung im Einzelfall auch reine „practical benefits“ als ausreichende „consideration“ anerkannt. Maßgebliche, allerdings auch sehr umstrittene (und vom UK Supreme Court bislang nicht bestätigte) Entscheidung dafür ist die vom Court Appeal entschiedene Rechtssache Williams v Roffey Bros & Nicholls (Contractors) Ltd. Der Kläger (Williams) in diesem Verfahren war ein Subunternehmer, der sich gegenüber dem mit der Renovierung eines Apartmentkomplexes beauftragten Generalunternehmer (Roffey) zur Durchführung von Teppichverlegearbeiten für eine Vergütung von £20,000 verpflichtet hatte. Während der Ausführung der Arbeiten kam Williams in finanzielle Schwierigkeiten, da der vereinbarte Werklohn nicht kostendeckend war. Im Rahmen einer Nachtragsvereinbarung erklärte sich Roffey daraufhin aus Sorge vor einer Verzögerung der Arbeiten bereit, Williams eine zusätzliche Vergütung für die Arbeiten zu zahlen. Später verweigerte er dann aber die Zahlung dieser Zusatzvergütung unter Berufung auf eine fehlende consideration. Der Court of Appeal gab der Klage von Williams auf Zahlung der zusätzlichen Vergütung statt. Zwar sei Williams rechtlich auch ohne den Nachtrag zur Durchführung der Arbeiten verpflichtet gewesen. Roffey habe aber durch den Abschluss der Nachtragsvereinbarung faktische Vorteile erhalten, die für eine consideration ausreichend seien.

Praxistipp: Stellt sich bei einem Vertragsschluss das Problem einer möglicherweise fehlenden consideration und daher drohenden Unwirksamkeit des Vertrages, kommen zwei Lösungsmöglichkeiten in Betracht (in der Praxis werden sie getreu dem Motto „Doppelt hält besser“ zuweilen auch miteinander kombiniert):

·       Zum einen können die Parteien bei einem ansonsten einseitig begünstigenden Vertrag eine rein nominelle Gegenleistung (etwa Zahlung von £ 1) vereinbaren.

·       Alternativ kann der Vertrag förmlich als sog. „deed“ abgeschlossen werden. Im Gegensatz zu einem „simple contract“ bedarf es bei einem „deed“ keiner consideration. Die Formerfordernisse für einen deed sind in der Vergangenheit deutlich erleichtert worden: Während früher die Anbringung des Siegels („sealed, signed and delivered“) des Unternehmens auf der Urkunde erforderlich war, reicht mittlerweile eine schriftliche Urkunde aus, die als „deed“ bezeichnet und von den rechtlich dafür vorgesehenen Personen unterschrieben wird. Was im Fall nicht nach englischem Recht gegründeter Unternehmen dabei zu beachten ist, lässt sich hier nachlesen.

Eine nicht unerhebliche Nebenwirkung hat die Ausfertigung als „deed“ allerdings: Die Verjährungsfristen für vertragliche Haftungsansprüche verlängern sich in diesem Fall von sechs auf zwölf Jahre, vgl. s. 5,8 Limitation Act. 1980.

2. Freier Widerruf des Angebots

Auch ohne entsprechende Klarstellung im Angebot (anders § 145 BGB) kann der Anbietende nach englischem Vertragsrecht sein Angebot bis zur Annahme jederzeit (sanktionslos) zurücknehmen. Das gilt selbst dann, wenn das Angebot (ggf. für eine bestimmte Frist) als unwiderruflich gekennzeichnet ist. Dogmatischer Hintergrund ist auch hier die „doctrine of consideration“: Da dem Angebot bis zu seiner Annahme kein Gegenleistungsversprechen gegenübersteht, kann es nach englischem Rechtsverständnis auch keine Bindungswirkung entfalten.

Praxistipp: In englischem Recht unterliegenden Ausschreibungsverfahren (tender) wird zuweilen vereinbart, dass die Bieter eine nominale Gegenleistung (etwa £ 1) dafür erhalten, dass ihr Angebot für eine bestimmte, vereinbarte Frist unwiderruflich ist. Damit kann die Problematik ansonsten fehlender „consideration“ auch hier umschifft und die Bindungswirkung des Angebots erzielt werden.

3. Mailbox Rule

Nach der sog. „mailbox rule“ führt eine postalisch versandte Annahmeerklärung grundsätzlich bereits bei Übergabe an die Post zu einem wirksamen Vertragsschluss – und zwar wohl selbst dann, wenn die Erklärung den Anbietenden nie erreicht. Auf andere vertragliche Erklärungen als die Annahmeerklärung ist die „mailbox rule“ nicht anwendbar.

Praxistipp: Die Geltung der mailbox rule kann der Anbietende im Angebot ausschließen. Unabhängig davon greift die mailbox rule auch dann nicht ein,

• wenn sich die Annahme auf dem Postweg im Einzelfall (etwa bei einem mündlich oder per Email gemachten) Angebot als unangemessen darstellt;

• der Absender der Annahmeerklärung für den unterbliebenen oder verzögerten Zugang beim Anbietenden verantwortlich ist; 

• für per Telefax und E-Mail übersandte Annahmeerklärungen.

Beitragsfoto von Catkin auf Pixabay

Kategorie: WirtschaftsrechtVertragsgestaltung

Autor
Prof. Dr. Patrick Ostendorf

Prof. Dr. Patrick Ostendorf

Solicitor in England & Wales - Master of Laws (King’s College London)

+49 (0) 941 463 7070 patrick.ostendorf@htw-berlin.de

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