10.01.2025 |

Sorgerecht des nicht verheirateten Kindsvaters in England

Wie bekommt im englischen Recht der nicht mit der Mutter verheirate Vater das Sorgerecht (parental responsibility) für sein Kind?

Schon die alten Römer kannten den Spruch "Die Mutter steht immer fest" (mater semper certa est). Soll heißen: Die biologische Elternschaft der Mutter ist immer sicher. Bei den Vätern dagegen ist das so eine Sache. Ohne DNA-Test (und den gibt es erst seit den 1960ern) bleiben da manchmal Restzweifel. Die meisten Rechtsordnungen (auch Deutschland und England) bedienen sich deshalb der juristischen Fiktion, dass bei während einer bestehenden Ehe geborenen Kindern immer der Ehemann als der rechtliche Vater gilt. Automatisch.

Fiktion der Vaterschaft des Ehemanns

Für Deutschland steht das in §1592 Nr. 1 BGB:

Vaterschaft: Vater eines Kindes ist der Mann,
1. der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist,...

Der Ehemann gilt rechtlich also immer als Vater, auch wenn den Beteiligten klar ist, dass das nicht stimmt, etwa wenn die Eheleute schon ein Jahr lang keinen Sex mehr miteinander hatten.

Für England und Wales steht eine ähnliche rechtliche Regelung in Section 2 Absaz 1 des Children Act 1989, wobei hier allerdings nicht die Vaterschaft fingiert wird, sondern das Gesetz verleiht dem Ehemann das elterliche Sorgerecht:

(1) Where a child’s father and mother were married to each other at the time of his birth, they shall each have parental responsibility for the child.

Das englische Recht verwendet also nicht den Begriff Vaterschaft, sondern gibt dem Ehemann für das während der Ehe geborene Kind das elterliche Sorgerecht. Ob er tatsächlich Vater ist, thematisiert diese Norm nicht.

Vaterschaft und Sorgerecht bei lediger Mutter in England

Was nun, wenn die Mutter bei Geburt ihres Kindes unverheiratet ist?

Sind sich Mutter und Vater einig über die biologische Vaterschaft, kann - nach deutschem Recht - der biologische Vater seine Vaterschaft durch formelle Erklärung anerkennen (§1594 BGB). Damit diese Vaterschaftsanerkennung rechtlich wirksam wird, ist allerdings auch die Zustimmung der Mutter erforderlich (§1595 Abs. 1 BGB). Ist die Vaterschaftsanerkennung "durch", haben beide Eltern das Sorgerecht (§1626 BGB).

Anwaltstipp: Fürchtet die ledige Mutter, dass es mit dem Kindsvater später Spannungen geben könnte, etwa weil dieser sich als dominant, aggressiv, unvernünftig oder gar gewalttätig erwiesen hat, dann sollte die ledige Mutter dieser Vaterschaftsanerkennung nicht zustimmen. Denn sonst muss sie ab sofort alle wichtigen Aspekte der Kindeserziehung mit dem Kindsvater abstimmen, z.B. ob und welchen Kindergarten bzw. welche Schule das Kind besucht, zu welchem Kinderarzt es geht, ob das Kind geimpft werden soll oder nicht u.s.w. Ist die Beziehung mit dem Kindsvater spannungsgeladen, sind diese Diskussionen und der Abstimmungsbedarf mit dem Kindsvater für die ledige Mutter ein ständiger Stressfaktor. Vor allem wenn der Kindsvater sein aus dem Sorgerecht resultierendes Mitbestimmungsrecht dazu nutzt, die Mutter ständig mit unvernünftigen Forderungen zu drangsalieren. Nicht wenige durch die Trennung in ihrer Ehre verletzte Männer versuchen über das väterliche Sorgerecht, mit der Kindsmutter in Kontakt zu bleiben und vielleicht sogar wieder mit dieser zusammen zu kommen, obwohl diese das nicht will.

Die Situation nach dem Kindschaftsrecht von England und Wales ist ähnlich. Bei unverheirateten Eltern hat zunächst allein die Mutter das Sorgerecht (parental responsiblity), siehe Section 2 Abs. 2 des Children Act 1989:

(2) Where a child’s father and mother were not married to each other at the time of his birth — (a) the mother shall have parental responsibility for the child; (b) the father shall have parental responsibility for the child if he has acquired it (and has not ceased to have it) in accordance with the provisions of this Act.

Der nicht mit der Mutter verheiratete Kindsvater muss also auch nach dem Familienrecht von England aktiv werden, wenn er das (Mit-)Sorgerecht bekommen will. Welche Möglichkeiten er hat, um das väterliche Sorgerecht zu erlangen, steht in Section 4 Children Act 1989 mit der Überschrift: Acquisition of parental responsibility by father (Erwerb der elterlichen Sorge durch den Vater)

(1) Where a child’s father and mother were not married to each other at the time of his birth, the father shall acquire parental responsibility for the child if — (a) he becomes registered as the child’s father under any of the enactments specified in subsection (1A);(b) he and the child’s mother make an agreement (a “parental responsibility agreement”) providing for him to have parental responsibility for the child; or (c) the court, on his application, orders that he shall have parental responsibility for the child.

Anwaltstipp für ledige Mütter in England: Der obige Rat an die unverheiratete Mutter, dem Kindsvater nicht ohne Not vorschnell das elterliche (Mit-)Sorgerecht einzuräumen, gilt natürlich umso mehr, wenn die Mutter eine Deutsche (oder sonstige Nicht-Britin) ist, die mit einem in Großbritannien lebenden Mann ein Kind bekommt und mit diesem Mann derzeit in England lebt. Denn geht in dieser Konstellation die Beziehung in die Brüche, sitzt die ledige Mutter faktisch in Großbritannien fest. Sie kann das (gemeinsame) Kind dann nämlich nicht einfach mit zurück nach Deutschland nehmen. Vielmehr braucht sie dafür die Zustimmung des Kindsvaters. Andernfalls macht sie sich sogar strafbar. Der englische Kindsvater ist aber häufig gerade nicht damit einverstanden, dass seine (nun Ex-)Freundin, die Mutter des gemeinsamen Kindes, dieses Kind mit nach Deutschland nimmt. Er befürchtet nämlich, dass er dann zu seinem Kind kaum mehr Kontakt haben wird. Die Beziehung zu dem englischen Mann war für die nicht-britische Kindsmutter aber vielleicht der einzige Grund, überhaupt in UK zu leben. Da die Beziehung nun gescheitert ist, will die Kindsmutter zurück nach Hause, also nach Deutschland, wo sie ggf. leichter einen Arbeitsplatz bekommt und wo Unterstützung durch ihre Eltern (die Großeltern des Kindes) verfügbar ist.

Finden die nicht verheirateten Eltern in einer solchen Konstellation keine gütliche Einigung, muss die Mutter - bei gemeinsamem Sorgerecht - einen Antrag beim englischen Familiengericht stellen, um die Genehmigung für den dauerhaften Umzug nach Deutschland zu bekommen. Das dauert Monate, kann mehrere tausend Pfund Anwaltsgebühren kosten und es ist keineswegs garantiert, dass die Mutter die Genehmigung vom Family Court bekommt. Vor allem dann, wenn der Kindsvater mit harten Bandagen kämpft und ggf. vielleicht sogar lügt ("Die Mutter ist alkohol- oder drogensüchtig und vernachlässigt das Kind"). Besonders schwierig ist es, wenn das gemeinsame Kind schon mehrere Jahre in England gelebt hat und dort in Kindergarten oder gar in die Schule geht. Dann wird der englische Vater argumentieren, dass es im Kindeswohlinteresse liegt, es in seiner gewohnten Umgebung zu belassen.

Fazit: Gemeinsames Sorgerecht ist für die Mutter brandgefährlich, wenn diese - nur der Kindsvaters zuliebe - im Ausland wohnt, in unserem Beispiel in England. Unverheiratete Mütter sollten deshalb versuchen, dass der Kindsvater gerade kein Sorgerecht erhält. Alternativ: Mit diesem frühzeitig eine rechtsverbindliche und professionell formulierte Vereinbarung treffen, was im Fall einer Trennung geschehen soll.

Vorsicht: Eintrag des Kindsvaters in die Geburtsurkunde gibt ihm das Sorgerecht

Ein unbekanntes Risiko für die Mutter ist, dass nach dem Familienrecht von England der nicht mit der Mutter verheiratete automatisch das Sorgerecht erhält, wenn er in der Geburtsurkunde als Vater eingetragen wird. Ein solcher "entry of the father in the birth certificate" ist bei Unverheirateten natürlich nur mit Zustimmung der Mutter möglich, denn nur sie kann ja bestätigen, dass der Mann der Vater ist. Details siehe Section 10 Births and Deaths Registration Act 1953.

Viele deutsche Frauen kennen aber die rechtliche Bedeutung dieses Eintrags nicht. Sie denken, dass dieser Eintrag des Vaters nur die biologische Abstammung des Kindes dokumentiert, dem Vater aber nicht automatisch auch das elterliche Sorgerecht verleiht. Genau dies tut das Recht von England und Wales aber! Die Eintragung in die englische Geburtsurkunde ist somit identisch mit der Anerkennung der Vaterschaft durch Vater und Mutter. Wird das gemeinsame Kind des nicht verheirateten Paares somit in Großbritannien geboren, so sollte die Mutter sich nicht überrumpeln lassen und naiv der Eintragung des Vaters in das birth certificate zustimmen.

Wichtiger Anwaltstipp für unverheiratete Mütter im Ausland!

Zusammenfassend also noch einmal die klare Empfehlung des Familienrechtsexperten: Geben Sie dem Kindsvater NICHT freiwillig das (Mit-)Sorgerecht für ihr gemeinsames Kind, wenn Sie zur Zeit im Land des Vaters wohnen (zum Beispiel England) und die Möglichkeit besteht, dass Sie zu irgend einem Zeitpunkt wieder zurück nach Deutschland ziehen wollen, etwa weil die Beziehung in die Brüche gegangen ist.

Wenn der Kindsvater in diesem Fall das Mit-Sorgerecht hat, können Sie Ihr Kind nicht ohne die Zustimmung des Kindsvaters aus England heraus bringen! Sie sitzen damit faktisch dauerhaft in England fest, wenn Sie Ihr Kind nicht verlassen wollen, denn das englische Familiengericht wird die Zustimmung, dass Sie Ihr Kind mit nach Deutschland nehmen dürfen - wenn überhaupt - erst nach vielen Monaten erteilen und nur, wenn das aus Sicht des Gerichts im Wohl des Kindes ist. Je länger Sie mit dem Kind in UK gelebt haben (und das Kind etwa im Kindergarten oder gar der englischen Schule eingewöhnt ist), umso schwieriger ist es, die Zustimmung des englischen Familiengerichts zu erhalten.

Der mit Ihnen nicht verheiratete Kindsvater hat Ihnen gegenüber somit ein massives Erpressungspotential.

Weitere Infos zum Familienrecht und Sorgerecht in England

Rechtsanwalt Bernhard Schmeilzl ist seit 2003 auf deutsch-britisches Recht spezialisiert, Schwerpunkte Erbrecht, Nachlassabwicklung, internationale Zivilprozesse und auch Familienrecht. Er ist der Autor des Länderberichts zum Familienrecht von England und Wales im Nomos BGB-Kommentar:

Buch zum Familienrecht von England und Wales in deutscher Sprache Experte englisches Familienrecht

Beitragsbild: Unsplash.com (Caleb Jones: rppvroqmr2s)

Kategorie: ProzessrechtZivilprozesseHigh CourtFamilienrecht

Autor
Bernhard Schmeilzl

Bernhard Schmeilzl

Rechtsanwalt & Master of Laws

+49 (0) 941 463 7070 schmeilzl@grafpartner.com

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