Gar keine! Gavels existieren in einem englischen Gerichtssaal nicht
Es ist ein offenbar unausrottbarer Mythos, dass Richter in England "Richterhammer" verwenden, die sog. "gavels". Surft man auf Bilddatenbanken zum Beispiel mit den Suchbegriffen "Judge England", findet man hunderte von - falsch - gestellten Bildern, auf denen Richterinnen und Richter mit (übrigens meist ebenso falscher) Richterperücke abgebildet sind, die einen Richterhammer in der Hand halten.
Weder heute noch früher
Auch in der Historie des englischen Rechtssystems gab es zu keiner Zeit solche Gavels (mehr zu "English Courtroom Traditions" siehe hier). Der Richterhammer ist eine Erfindung der US-amerikanischen Justiz. Über Hollywood-Gerichtsdramen, amerikanische Anwaltsserien und Cartoons hat es der Richterhammer dann als urbane Legende nach Großbritannien geschafft. Sogar viele Briten sind davon überzeugt, dass Richterinnen und Richter wenigstens vor einigen Gerichten den Hammer schwingen.
Nicht einmal im Strafrecht?
Auch in Strafverfahren vor dem englischen Crown Court werden keine Gavels eingesetzt. War es 2017 einmal fast soweit, dass auch in englischen Gerichten Richterklöppel eingeführt werden sollten? Das berichtet Paul Magrath auf dem ICLR-Blog unter der Überschrift: "Gavels to be used in English courts" (https://www.iclr.co.uk/blog/archive/gavels-to-be-used-in-english-courts/). Wer sich frägt, ob daraus etwas geworden ist oder warum man zu dieser geplanten Gesetzesänderung sonst keine Beiträge findet, möge sich das Publikationsdatum ansehen: 1.4.2017. Also eine Aprilscherz-Ente.
Es bleibt dabei: In keinem einzigen englischen Gericht kommen Gavel zum Einsatz!
Übrigens auch nicht im House of Commons. Der Speaker hat weder einen Sitzungshammer, noch überhaupt einen Tisch, auf den er einen solchen Hammer klopfen könnte. Daher können die Speaker of the House allzu laute Abgeordnete nur mit ihrer Stimme mittels des berühmten "Order, order!" zur Ordnung rufen (https://youtu.be/VYycQTm2HrM).
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Am Gavel-Bild erkennt man Betrüger
Diese Info ist praktisch nützlich: Denn wer weiß, dass es in der UK-Justiz keine Richterhammer gibt (übrigens auch nicht in Kanada oder Australien), ist vor den zahlreichen Betrügern im Internet geschützt, die ihre potentiellen Betrugsopfer auf entweder erfundene oder von tatsächlich existierenden Anwaltskanzleien geklaute (geklonte) Websites locken und vorlügen, man habe eine Erbschaft in England gemacht und man müsse nur noch schnell eine Gebühr, Steuer, ein Geldwäschezertifikat oder eine sonstige Fantasiezahlung leisten, um an seine Erbschaft zu kommen. Erstaunlich oft stehlen solche Betrüger Websites von US-Anwaltskanzleien, auf denen Gavels abgebildet sind. Leser dieses Beitrags wissen nun: Ein echter englischer Solicitor oder Barrister würde auf seiner Website niemals einen Richterhammer abbilden. Er würde sich dem Gespött der Anwaltskollegen aussetzen. Mehr zur Betrugsmasche "falsche Auslandserbschaft" hier:
- Internet-Betrugsmasche: ausländische Erbschaft
- Nein, man erbt nicht einige Millionen von jemanden, den man kaum kannte!
- Betrugsmasche „Millionenerbschaft aus England“ (mit Beispielen gefälschter Unterlagen)
- Betrugsopfer sind meist Akademiker! Warum?
- Der dümmste Betrüger des Jahres
Der Autor ist Experte für deutsch-englisches Recht, insbesondere Prozessrecht, Erbrecht und Nachlassabwicklung