23.09.2024 |

Fotos und Videoaufnahmen sind in englischen Gerichten streng verboten

Für Gerichtsreporter in England gelten viele Regeln und Verbote

Wer sich frägt, warum man in britischen TV-Nachrichten, anders als in Deutschland, nie Bilder oder Filmaufnahmen von Angeklagten, Staatsanwälten oder Richtern sieht, der findet die Antwort in Section 41 des Criminal Justice Act 1925 (abgekürzt: CJA 1925). Dieser verbietet jegliche Bildaufnahme eines Prozessbeteiligten, sei es im Gerichtssaal (courtroom) oder im Umfeld des Gerichts (the court´s precints). Streng genommen erfasst die Norm also auch das Betreten oder Verlassen des Gerichtsgebäudes, jedenfalls wenn sich die Partei noch auf dem Gelände befindet, das zum des Gerichtsgebäude gehört. Erfahrene Gerichtsreporter und Fotojournalisten schießen ihre Bilder also erst, wenn die betreffende "Zielperson" auf dem Bürgersteig ist, nicht schon während diese gerade durch den Torbogen des High Court läuft. Denn mit letzterem riskiert der Journalist eine Geldstrafe bis zu 1.000 Pfund pro Fall.

Aufnahmen eines Angeklagten (der sich oft einen Aktenordner vor das Gesicht hält) und dessen Strafverteidiger vor offiziellem Prozessbeginn im Gerichtssaal, die in Deutschland regelmäßig in der Tagesschau zu sehen sind, wären nach englischem Recht undenkbar.

Nicht einmal Zeichner dürfen im Gerichtssaal ihre Skizzen anfertigen

Wie ernst dieses Verbot von "Bildaufnahmen" im Gericht in England genommen wird sieht man daran, dass es nicht einmal Zeichnern (sketch artists) erläubt ist, im Gerichtssaal ihre Skizzen zu erstellen. Wenn man in englischen Zeitungen oder Fernsehnachrichten solche Skizzen von Gerichtsszenen zu sehen bekommt, dann haben die Zeichner, genannt "courtroom illustrators", oder "court artists", diese erst nach der Verhandlung aus dem Gedächtnis und auf Basis von handschriftlichen Notizen erstellt. Würde ein Zeichner dabei erwischt, wie er oder sie bereits während der Verhandlung Skizzen in den Block macht, hätte dies ebenfalls eine Geldstrafe zur Folge und der Zeichner würde künftig wohl keine Presseakkreditierung mehr erhalten. Mehr zu dieser Tradition der englischen courtoom illustrators hier: www.itsnicethat.com/features/courtroom-illustration-060420

Auch inhaltlich bestehen viele Restriktionen, worüber Journalisten berichten dürfen

Neben dem Verbot von Film-, Foto- und übrigens auch Tonaufnahmen im Gerichtsgebäude gelten für britische Journalisten auch viele weitere strenge Vorgaben, worüber aus einem Strafverfahren berichtet werden darf und vor allem wann, insbesondere bei Jury-Strafprozessen vor dem Crown Court. Anders als in den USA werden Geschworene in England nämlich nicht in Hotelzimmern untergebracht und vor externen Einflüssen abgeschirmt, sondern die Geschworenen dürfen jeden Tag nach Ende der Verhandlung nach Hause. Deshalb dürfen die englischen Medien (und auch Privatpersonen, wie Blogger) aus einem Verfahren Details erst veröffentlichen, nachdem diese offiziell in die Verhandlung einegführt wurden, nachdem also den Geschworenen diese Informationen im Gerichtssaal präsentiert wurden. Ein Verstoß hiergegen stellt eine Missachtung des Gerichts dar (contempt of court) und hat für den konkreten Journalisten sowie seine Zeitung oder seinen TV-Sender erhebliche Konsequenzen.

Details zu diesen Berichtsrestriktionen (reporting restictions) und den drohenden Strafen auf der Website der britischen Strafverfolgungsbehöre Crown Prosecution Service (CPS): https://www.cps.gov.uk/legal-guidance/contempt-court-reporting-restrictions-and-restrictions-public-access-hearings sowie im Leitfaden "Reporting Restrictions in Criminal Courts" www.judiciary.uk/wp-content/uploads/2022/09/Reporting-Restrictions-in-the-Criminal-Courts-September-2022.pdf

Gelten solche Berichterstattungsverbote auch für Prozesse vor englischen Zivilgerichten?

Hier ist Lage komplizierter. Foto-, Film- und Tonaufnahmen sind auch in Zivilverfahren generell verboten, was sowohl auf die allgemeinen Common Law Prinzipien zu "contempt of court" gestützt wird, als auch auf spezifische Gesetze wie den Contempt of Court Act 1981. In Zivilprozessen hat das Gericht einen weiten Ermessenspielraum, welche Grenzen (reporting restrictions) es den Medien bei der Berichterstattung ansonsten auferlegt. Dabei muss das Gericht seine beschränkenden Anordnungen aber sorgsam abwägen, da das Prinzip "open justice" eine Berichterstattung prinzipiell erlaubt und jede Einschränkung der Pressefreiheit gut begründet werden muss.

Einen Einblick in die Praxis geben diese offiziellen Leitfäden der britischen Justiz für Medienvertreter und Gerichtsmitarbeiter sowie der Ratgeber der UK Presse-Selbstregulierungsorganisation IPSO (Independent Press Standards Organiosation):

Fazit: Berichterstattung über englische Gerichtsverfahren ist ein gefährliches Terrain

Deutsche Medienvertreter oder gar deutsche Blogger und Podcaster, die "mal schnell" über ein englisches Gerichtsverfahren berichten, können unerwartet Ärger mit der britischen Justiz bekommen. Werden zum Beispiel "selbst recherchierte" Fakten (egal ob richtig oder falsch) veröffentlicht oder in einem Podcast diskutiert, die Gegenstand eines laufenden Strafverfahrens sind (etwa weil es um einen deutschen Promi wie Boris Becker geht), bevor das Strafverfahren vollständig abgeschlossen ist (die Berufung, appeal, kann zwei Jahre dauern), droht Ungemach, falls das englische Gericht hiervon erfährt. In jedem Fall wird die Presseakkreditierung bei Gericht entzogen, möglicherweise drohen Geldbußen und das Gericht wird die (weitere) Veröffentlichung untersagen. Ob und unter welchen Umständen nach Brexit solche Anordnungen eines englischen Gerichts grenzüberschreitend in Deutschland durchsetzbar sind, wenn es sich etwa um einen deutschen Blogger oder Podcaster ohne Wohnsitz in UK handelt, steht wieder auf einem anderen Blatt. Deutsche Medienanstalten mit Büro und Korrespondenten in UK können das Thema dagegen nicht so einfach an der Grenze abprallen lassen, da diesen englische court orders natürlich an das Büro London zugestellt werden können.

Kategorie: ProzessrechtStrafrechtHigh CourtCrown Court

Autor
Bernhard Schmeilzl

Bernhard Schmeilzl

Rechtsanwalt & Master of Laws

+49 (0) 941 463 7070 schmeilzl@grafpartner.com

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