
Der "passive Executor" bei der Abwicklung von Erbschaften in England und Deutschland
In vielen Nachlasszeugnissen (grants of probate) in England und Wales liest man am Ende den Passus "power reserved to other executors". Was bedeutet das?
Dazu muss man zunächst verstehen, warum in englischen Testamenten überhaupt ein Executor oder (wie meist) mehrere solcher Nachlassabwickler benannt werden. Die Abwicklung von Nachlässen folgt in Common Law Rechtsordnungen wie England, USA und Australien ganz anderen Regeln als nach deutschem Recht. Bei uns treten die Erben, juristisch gesehen, sofort, direkt und automatisch an die Stelle des Verstorbenen. Die Stichworte, die deutsche Erbrechtsexperten in diesem Kontext verwenden, sind Universalsukzession, also Gesamtrechtsnachfolge, und Direkterwerb.
Ganz anders bei Erbfällen in Common Law Ländern: Dort muss immer ein "personal representative" (also ein executor oder administrator) den Nachlass, also die Erbmasse, in Besitz nehmen und diesen Nachlass verwalten. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil die Gläubiger des Verstorbenen davor geschützt werden müssen, dass der Nachlass zu früh verteilt wird. Im Common Law haften nämlich nicht die Erben für solche Schulden des Verstorbenen, sondern immer nur die Erbmasse, der Nachlass, auf englisch "the estate". Executors haben deshalb im englischen Recht eine verantwortungsvolle und manchmal auch haftungsträchtige Rolle. Details zu den Aufgaben eines Executors und wie dieser sein Haftungsrisiko beschränken kann, in diesem Beitrag hier.
In englischen Testamenten werden meist mehrere Executors benannt
Wer ein Testament nach englischem Recht erstellt, wird daher mindestens einen, meist mehrere Executors bestimmen. Vor allem bei komplizierten Testamenten oder/und großen Vermögen, weist das englische Testament oft Rechtsanwälten (Solicitors) diese Rolle zu, manchmal auch neben dem überlebenden Ehegatten und/oder den Kindern des Testamentserstellers.
Mehrere Executors zu bestimmen ist vor allem dann sinnvoll, wenn das Testament eine lange Trust-Periode anordnet, also eine Verwaltung des Nachlassvermögens (als testamentary trust) über einen langen Zeitraum, zum Beispiel "bis der länger lebende Ehegatte verstirbt" oder "bis das jüngste Kind das 21. Lebensjahr erreicht". Ebenso, wenn sich im Nachlass ein Unternehmen befindet, das durch Executors (zumindest übergangsweise) fortgeführt werden soll. In Deutschland würde man diese Fallkonstellationen als Dauertestamentsvollstreckung bezeichnen.
Nicht selten wird in einem englischen Testament statt konkreter Personen auch eine Anwaltskanzlei benannt, meist mit einer Formulierung wie:
"I appoint the partners at the date of my death of the law office XYZ Solicitors LLP (or such other firm which at that date has succeeded to and carries on its practice) to be the executors and trustees of this will"
Das können bei großen Anwaltskanzleien mehrere Dutzend Solicitors sein. Werden die dann alle im englischen Nachlasszeugnis aufgelistet? Nein, natürlich nicht. Wenn der Erbfall eintritt, beantragen in der Regel ein bis zwei dieser Anwälte den "grant of probate". Diese stehen dann mit ihren Namen und Anschriften im englischen Erbschein.
Die übrigen Personen, die im englischen Testament entweder ausdrücklich als Executors vorgesehen sind, oder die indirekt als Anwälte einer im Testament genannten Kanzlei als Executors in Frage kommen, können dann entweder diese Rolle ablehnen oder - und nun sind wir beim Thema der Überschrift dieses Beitrags - derzeit (also jedenfalls vorläufig) passiv bleiben, sich jedoch das Recht vorbehalten ("to reserve the right"), später doch noch als aktiver Executor in die Nachlassabwicklung mit einzusteigen. Das nennt man "power reserved".
Dies teilt man dem englischen Nachlassgericht (probate registry) im Antragsformular "PA1P — Probate application"

Für die aktiv agierenden Executors bedeutet dies, dass sie die "passiven Executors" über den Erbscheinsantrag und den Fortgang der Nachlassabwicklung informieren müssen, insbesondere über das Ende der Nachlassabwicklung. Die "power reserved ecexutors" können jederzeit aktiv werden, in der Praxis geschieht dies allerdings nur, wenn etwa aktive Executors wegfallen (wegen Tod, langer Krankheit o.ä.) oder aber, wenn Probleme bei der Nachlassabwicklung auftauchen (Vorwurf der Veruntreuung von Nachlassgegenständen).
Wie geht das deutsche Nachlassgericht mit Executor-Klauseln um?
Der englische grant of probate wird in Deutschland nicht unmittelbar als Erbschein oder Testamentsvollstreckerzeugnis anerkannt. Wenn der Verstorbene seinen gewöhnlichen Aufenthalt (Hauptwohnsitz, Lebensmittelpunkt) außerhalb der EU hatte, scheidet auch ein EU-Nachlasszeugnis aus. Im Ergebnis müssen die Erben oder eben die im englischen Testament benannten Executors ein (gegenständlich beschränktes) deutsches Nachlasszeugnis beantragen, entweder einen deutschen Erbschein oder ein deutsches Testamentsvollstreckerzeugnis (TVZ), oder - wenn eine deutsche Immobilie existiert - beides, weil das deutsche Grundbuchamt - auch wenn ein TVZ existiert - trotzdem einen deutschen Erbschein verlangt, um den Erben bzw. die Erbengemeinschaft als neue/n Eigentümer einzutragen.
Wie oben erklärt, benennen englische Testamente in aller Regel einen oder mehrere, manchmal auch sehr viele, Executors. Das deutsche Nachlassgericht muss nun das englische Testament auslegen. Die wichtigste Frage für die Antragsteller und das Nachlassgericht ist, ob jede Benennung eines Executors im englischen "Last Will and Testament" automatisch immer auch eine Testamentsvollstreckeranordnung für Deutschland bedeutet. Die Antwort ist nein!
Wie deutsche Nachlassgerichte bei der Auslegung von Common Law Testamenten die Grenze ziehen, erkläre ich ausführlich in diesem Beitrag hier: Bedeutet Executor-Klausel im englischen Testament immer auch Testamentsvollstreckung in Deutschland?
Dabei gibt es schwierige Grenzfälle, in denen man die Auslegung des englischen Testaments am besten vorab mit dem Richter am Nachlassgericht bespricht, bevor die Executors bzw. die Erben das "falsche" deutsche Nachlasszeugnis beantragen. Der Antrag auf Erteilung eines solchen gegenständlich beschränkten Fremdrechtserbscheins oder Fremdrechtstestamentsvollstreckerzeugnisses ist aufwendig und teuer, vor allem auch, weil die Antragsteller hierfür aus UK nach Deutschland anreisen müssen (warum erkläre ich hier: Deutsche Botschaft in London schließt Erbrechtsabteilung).
Im Idealfall klärt man daher vorher mit dem deutschen Nachlassgericht, welche Art Antrag das Gericht akzeptieren wird, d.h. ob es die Executor-Klausel im UK Testament als "echte" Testamentsvollstreckungsanordnung nach deutschem Recht ansieht oder nicht.
Probleme macht auch oft die Bestimmung der konkreten Testamentsvollstrecker für Deutschland, das keine "passiven Testamentsvollstrecker in Wartestellung" kennt. Das deutsche Gericht wertet zunächst den Wortlaut des Testaments aus. Sind darin zum Beispiel vier Personen als Executors bestimmt, in England haben aber zwei davon die "power reserved" Option gewählt, dann stellt sich die Frage, was das für das deutsche TVZ bedeutet. In Deutschland kann man das Amt eines Testamentsvollstreckers nur entweder annehmen oder (für immer) ausschlagen. Am besten zeigt man dem deutschen Gericht daher den englischen grant of probate (mit dem power reserved Vermerk) gar nicht erst.
Viele kommen dann auf die Idee, im Antrag eine Formulierung zu verwenden, wonach jemand ein Amt oder die Erbschaft "für Deutschland" annimmt oder ausschlägt. Damit fängt man sich aber meist die Antwort des Nachlassgerichts ein, dass wegen des Prinzips der Nachlasseinheit (one single worldwide estate), keine Teilausschlagung oder Teilannahme für ein bestimmtes Land zulässig ist. Aus Sicht des deutschen Erbrechts muss man eben entweder ganz ausschlagen oder ganz annehmen (§ 1950 BGB). Eine sog. Nachlassspaltung ist aus Sicht des deutschen (und auch des EU-Rechts) nicht gewollt. In internationalen Fällen kommt es aber dennoch häufig zu einer sogenannten "faktischen Nachlassspaltung". Mehr dazu hier: Internationale Erbschaft teilweise ausschlagen – geht das?
In der Praxis des Erbscheinsverfahrens muss man sich hier mit geschickten Formulierungen im Antrag behelfen, ggf. ergänzt durch interne Vereinbarung unter den Executors. Ideal ist das alles natürlich nicht. Wie immer gilt daher meine Empfehlung, bei Vermögen in verschiedenen Ländern (innerhalb und außerhalb des Anwendungsbereichs der EU-Erbrechtsverordnung) entweder getrennte Testamente zu erstellen. Details zu den Vorteilen getrennter Testamente in diesem Beitrag:
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