11.11.2024 |

Die anwaltliche Berufsaufsicht in England: SRA, BSB, LSB

Englische Anwaltskanzleien sind streng reguliert und überwacht. Dennoch gibt es Skandale wegen Veruntreuung von Mandantengeldern

Den regulatorischen Rahmen für die juristischen Berufe in England und Wales gibt der Legal Services Act 2007 vor. Die Struktur der anwaltlichen Berufsaufsicht ist in England erheblich komplizierter als in Deutschland. Die formal primären Regulierungsorganisationen ("frontline regulators") und standesrechtlichen Vertretungsorganisationen ("representative bodies”) für die jeweiligen juristischen Berufe sind The Law Society (für solicitors) und The Bar Council (für barristers).

 Diese haben jedoch für die tatsächliche Umsetzung der Aufgaben (Verwaltung, Aufsicht und Kontrolle) jeweils eine unabhängige Unterorganisation (independent regulatory arms) geschaffen, die „regulatory bodies“, die bekanntesten beiden sind die "Solicitors Regulation Authority (SRA)“ und "The Bar Standards Board (BSB)“.

Übersicht über die berufsrechtlichen Aufsichtsorganisationen für juristische Berufe in England

Fachlich überwacht werden diese regulatory bodies jedoch nicht von The Law Society oder The Bar Council, sondern vom wiederum unabhängigen Legal Services Board (LSB) als Aufsichtsorgan.

Eine gute grafische Übersicht zur Organisationsstruktur der juristischen Berufe in England und Wales (inklusive Aufsichtsorgane) findet sich auf der LSB-Website hier.

Anwaltliche berufsaufsicht England Regulierungsbehörden für Solicitors und Barristers UK

Beschwerden von Mandanten über englische Anwälte werden veröffentlicht

Für Beschwerden von Verbrauchern über (mangelhafte) Dienstleistungen von angehörigen regulierter juristischer Berufe besteht seit 2010 das Online Portal The Legal Ombudsman. Das Office for Legal Complaints (OLC) prüft und entscheidet über diese Beschwerden.

Die Bedeutung solcher berufsrechtlichen Verhaltensregeln (professional ethics), die Gegenstand zahlreicher Lehrbücher und Universitätsvorlesungen sind, ist auch deshalb so hoch, weil disziplinarische Maßnahmen gegen Angehörige beider Anwaltsberufe (Solicitors und Barristers) in England für jeden offen einsehbar sind. Man kann per einfacher Namenssuche für jeden Solicitor (www.sra.org.uk/consumers/register) und Barrister (www.barstandardsboard.org.uk/for-the-public/search-a-barristers-record.html) deren „disciplinary record“ abrufen, also nachsehen, ob gegen sie oder ihn berufsrechtliche Sanktionen verhängt wurden, von einer einfachen Rüge bis zum dauerhaften Entzug der Zulassung.

Ein in Anwaltskreisen sehr bekanntes aktuelles Beispiel sind die Sanktionen gegen Barristerin Sophia Rebecca Cannon, der im März 2023 wegen schwerem "professional misconduct" sogar die Anwaltszulassung entzogen wurde. Deutsche Datenschützer lesen mit Gänsehaut, in welcher Detailgenauigkeit all dies auf der offiziellen Website der englischen Anwaltskammer für jeden einsehbar aufgeführt wird: www.barstandardsboard.org.uk/disciplinary_finding/183557.html

Solche Einträge schaden nicht nur bei der Mandantenakquise und der Reputation im Kollegenkreis, sie haben auch handfeste finanzielle Auswirkungen beim Thema Berufshaftpflichtversicherung, da solche disziplinarischen Verstöße die Versicherungsprämien massiv in die Höhe schnellen lassen.

Die Aufgaben der "Solicitors Regulation Authority (SRA)" im Detail

Die organisatorische Selbstverwaltung, die Führung des Anwaltsverzeichnisses (solicitors register bzw. altmodisch bezeichnet als roll of solicitors), die berufsrechtliche Regulierung und Aufsicht über solicitors erfolgt durch die Solicitors Regulation Authority (SRA), die von The Law Society als deren „independent regulatory arm“ ins Leben gerufen wurde. Verfasst ist die SRA seit Mai 2020 in der Rechtsform einer “private company limited by guarantee”, deren alleiniger Gesellschafter The Law Society ist. Davor war die SRA eine unselbstständige Untergliederung der Law Society.

Von 2011 bis November 2019 regelte das SRA Handbook alter Fassung die berufsrechtlichen Pflichten von Solicitors. Die Kritik an diesem detailverliebten und immer mehr ausufernden Handbuch (661 Seiten!) wuchs, so dass es mit Wirkung zum 25.11.2019 durch die knapper und allgemeiner gehaltenen SRA Standards and Regulations ersetzt wurde. Der Grad der berufsrechtlichen Regulierung und der Aufsicht sind trotzdem beachtlich und erheblich intensiver als in Deutschland.

Von besonderer Bedeutung und Lästigkeit für deutsche Mandanten, die eine englische Solicitor-Kanzlei beauftragen wollen, sind die Themen “know your client“ (KYC) und “anti money laundering“ (AML). Anwälte in England müssen in ihrer Mandantenakte penibel dokumentieren, wer ihre Mandantschaft ist (seien es Privatpersonen oder Unternehmen) und wo diese eine zustellungsfähige Adresse hat (Wohnsitz oder Geschäftssitz). Dies führt zu – aus Sicht eines deutschen Mandanten – ärgerlichen Formalitäten. Mehr zur Beauftragung einer englischen Solicitor-Kanzlei durch deutsche Mandanten in diesem Beitrag: www.englischesrecht.de/blog/warum-es-umstaendlich-ist-einen-anwalt-in-england-zu-mandatieren

Zudem fragen englische Anwaltskanzleien auch danach, wo der Mandant das Geld her hat, mit dem er oder sie etwa eine Immobilie in UK kaufen oder aber den Zivilprozess in England finanzieren will, was deutsche Klienten in aller Regel extrem befremdlich finden. Man bekommt einen Eindruck vom Stellenwert, den das Thema Geldwäscheprävention in der englischen Anwaltspraxis hat, wenn man sich die offizielle Empfehlung der Law Society vom 28.3.2023 mit dem Titel „Anti-money laundering guidance for the legal sector“ ansieht. Auf 220 (!) Seiten (die Website warnt mit dem Hinweis „a 5 hour read“) wird dort ausgeführt, welche Maßnahmen Anwälte und Kanzleien gegen Geldwäsche treffen sollen und wie man sich in Verdachtsfällen am besten verhält.

Als Fazit kann man deutschen Mandanten daher nur empfehlen, die Formalitäten der Akteneröffnung (onboarding formalitites) stoisch zu ertragen, inklusive eines zehnseitigen Mandanteninformationsschreibens (client care letter). Das Einzige, womit ein Mandant aus Deutschland rechnet, nämlich eine Anwaltsvollmacht unterschreiben zu müssen, fällt aus. Solche Vollmachten kennt man in England nicht. Wenn ein solicitor anzeigt, dass er einen Mandanten vertritt, dann glaubt der Empfänger das, auch ohne Vorlage einer Vollmacht.

Die Aufgaben des "Bar Standards Board (BSB)" im Detail

Das Bar Standards Board übt eine ähnliche Funktion für barrister aus, wie die SRA für solicitors, wobei die Festlegung der Berufszugangsregeln (qualification rules) und die disziplinarische Aufsicht zusammen mit den „Four Inns of Court“ erfolgt. Das Legal Services Board nimmt die Überaufsicht wahr (siehe grafische Übersicht oben).

Die konkreten Berufsregeln enthält das 181-seitige BSB Handbook in der aktuellen Version 4.6 vom 31.12.2020, unterteilt in verbindliche Vorschriften, „rules“ (r), und Empfehlungen, „guidance“ (g). Wenn Mandanten aus Deutschland, die mit englischen Barristers zu tun haben, deren Selbstbild und Rollenverständnis besser begreifen wollen, sollten diese vor allem Part 2 des BSB Handbook lesen, den „Code of Conduct“.

Als Beispiel sei hieraus rule C9 im Wortlaut zitiert, insbesondere weil es zeigt, dass ein Barrister im Zivilprozess gerade nicht kompromisslos die Interessen des eigenen Mandanten vertreten darf, sondern „Gehilfe des Gerichts bei der objektiven Wahrheitsfindung“ ist:

rC9 Your duty to act with honesty and with integrity under CD3 includes the following requirements:
.1 you must not knowingly or recklessly mislead or attempt to mislead anyone;
.2 you must not draft any statement of case, witness statement, affidavit or other document containing:.a any statement of fact or contention which is not supported by your client or by your instructions; .b any contention which you do not consider to be properly arguable; .c any allegation of fraud, unless you have clear instructions to allege fraud and you have reasonably credible material which establishes an arguable case of fraud; .d (in the case of a witness statement or affidavit) any statement of fact other than the evidence which you reasonably believe the witness would give if the witness were giving evidence orally;
.3 you must not encourage a witness to give evidence which is misleading or untruthful;
.4 you must not rehearse, practise with or coach a witness in respect of their evidence;

Der Umgang eines englischen Prozessanwalts mit Zeugen, auch und gerade mit „friendly witnesses“ der eigenen Seite ist in UK also völlig anders, als man dies aus amerikanischen Filmen und Serien kennt. In USA bereiten Anwälte "ihre" Zeugen optimal auf deren Aussage vor Gericht vor. Die Befragungssituation wird geübt, Antworten werden einstudiert und Zeugen werden auf aggressive Kreuzverhör-Befragung durch den Gegneranwalt (cross examination) eingestellt. Es gibt in USA sogar spezielle Dienstleister (witness preparation coaches), die Anwälte dabei unterstützen, ihre Zeugen im Hinblick auf Stimmeinsatz, Körpersprache, Auftreten und Kleidung optimal vorzubereiten, um bei der Jury einen möglichst sympathischen und glaubwürdigen Eindruck zu hinterlassen. In USA wäre es daher wohl sogar ein Kunstfehler, mit einem wichtigen Zeugen dessen Aussage nicht vorab zu trainieren und diesen nicht auf das Kreuzverhör vorzubereiten.

In England ist all dies – jedenfalls Barristern – berufsrechtlich ausdrücklich verboten!

Ein englischer Barrister darf Zeugen maximal über ihre Pflichten und den Ablauf der Vernehmung belehren („familiarise witnesses“). Englische Barrister treffen „ihre“ Zeugen in der Regel im Termin zur mündlichen Verhandlung erstmals persönlich. Aus Sicht des englischen Rechts soll ein Zeuge möglichst unbeeinflusst und mit eigenen Worten aussagen. Für Solicitors besteht ein solches berufsrechtliches Verbot der Zeugenvorbereitung nicht, allerdings dürfen auch Solicitors keinen Einfluss auf den Inhalt der Aussage nehmen und sich nicht an einer Täuschung des Gerichts beteiligen. Innerhalb dieser Rahmenbedingungen ist aber ein Coaching von Zeugen auch in England zulässig. Mehr zum Thema Vorbereitung von Zeugen auf die mündliche Gerichtsverhandlung in England hier: www.englischesrecht.de/blog/darf-man-zeugen-fuer-gerichtsaussage-coachen

Anwaltsskandale in England trotz strenger Regulierung und Überwachung

Trotz all dieser berufsrechtlichen Regularien und mehrstufigen Berufsaufsicht kommt es in England immer wieder zu Skandalen, insbesondere zur Veruntreuung von Mandantengeldern durch Solicitor-Kanzleien. Im Herbst 2024 war das Thema Nummer eins für die Law Society, die SRA und das LSB der sogenannte "Axiom Ince" Skandal. Diese international tätige englische Solicitor-Kanzlei musste 2023 Insolvenz anmelden und schließlich zugeben, dass mehr als 60 Millionen Pfund (also gute 73 Millionen Euro) an Mandanten-Fremdgeldern "verschwunden" waren. Die Kritik richtet sich seither auch gegen die Solicitors Regulation Authority, weil diese bei ihren Audits Warnzeichen nicht entdeckt oder ignoriert hat. Das Legal Services Board kam in einem Untersuchungsbericht zum Ergebnis, dass die SRA ihre Aufgaben nicht ordnungsgemäß erfüllt hat.

Hintergründe zum Veruntreuungsskandal und den Folgen für die Anwaltsaufsicht in England hier:

Der aktuelle Fall wird also eher noch zu einer Verschärfung der - besonders aus deutscher Sicht - ohnehein bereits lästigen Formalitäten bei der Mandantierung englischer Anwaltskanzleien führen. Englische Solicitors sind vor allem auch deshalb sauer auf ihre eigenen Berufsaufsicht SRA, weil die Veruntreuung der Mandantenfremdgelder nun voraussichtlich zu einer massiven Erhöhung der Beiträge zum SRA Notfallfonds (SRA Compensation Fund) führt, denn viele der geprellten Mandanten machen Ansprüche gegen die SRA geltend: https://www.sra.org.uk/sra/news/press/compensation-fund-pc-fees-2024/

Informationen über die englische Justiz, die anwaltliche Berufsaufsicht und Zivilprozessordnung

Der Beitrag ist ein gekürzter Auszug aus dem Praxishandbuch "Der Zivilprozess in England", das die Organisation der englischen Justiz sowie die Rollenverteilung zwischen Barristers, Solicitors und anderen juristischen Berufen in England erläutert, gut lesbar und aus Sicht des Praktikers.

Handbuch zum Zivilprozessrecht in England Kapitel Anwälte und Berufsaufsicht

Beitragsfoto von Markus Winkler: https://www.pexels.com/de-de/foto/holz-industrie-schreiben-typografie-19813733/

Kategorie: ProzessrechtBehördenBetrugAnwaltsrecht

Autor
Bernhard Schmeilzl

Bernhard Schmeilzl

Rechtsanwalt & Master of Laws

+49 (0) 941 463 7070 schmeilzl@grafpartner.com

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