
Was tun, wenn Sie auf Internet-Betrüger aus England hereingefallen sind?
Jeden Tag verschicken kriminelle Online-Betrüger Millionen von E-Mails, SMS, WhatsApp-Nachrichten oder Direct Messages auf Facebook, LinkedIn, Instagram oder sonstigen Social Media Diensten. Das Ziel ist immer das gleiche: Sie dazu zu bringen, Geld zu überweisen. Die frei erfundenen Geschichten sind austauschbar. Entweder meldet sich eine angebliche englische Bank oder ein englischer Anwalt bei Ihnen mit der Story, dass Sie in UK geerbt haben, aber leider vorher noch ein paar Gebühren oder Steuern bezahlt werden müssen. Oder jemand freundet sich mit Ihnen über Facebook an, kommt dann nach ein paar Wochen oder Monaten plötzlich in eine Notlage und bittet Sie, ihm oder ihr mit einer Überweisung auszuhelfen.
In meinen 25 Jahren Anwaltstätigkeit im deutsch-englischen und deutsch-amerikanischen Recht habe ich ohne Übertreibung mehrere tausend Fälle solcher Betrugsversuche gesehen und für meine Mandanten geprüft. Leider melden sich die meisten erst bei mir, nachdem sie schon eine oder mehrere Überweisungen ins Ausland gemacht haben und erst danach misstrauisch wurden, weil der angebliche Anwalt, Banker oder Finanzbeamte immer neue Gründe (er)findet, warum das Erbe nicht freigegeben werden kann.
Liegen die Überweisungen schon Wochen oder gar Monate zurück oder ging das Geld in ein Land außerhalb der EU oder Großbritanniens, dann besteht ohnehin so gut wie keine Hoffnung mehr, den Schaden zu beheben. Denn die Polizei in Ländern wie Russland, Belarus, Nigeria usw. kann oder will hier nicht tätig werden. Auf eine Anzeige erhält man meist gar keine Reaktion.
Chance auf Rückerstattung bei Überweisung auf ein Bankkonto in Großbritannien?
Bei der Betrugsmasche einer angeblichen Erbschaft in England haben die kriminellen Betrüger das Problem, dass sie dem Betrugsopfer für die gewünschte Überweisung ein Bankkonto mit einer IBAN nennen müssen, die mit GB beginnt. Die Scammer benötigen also ein Bankkonto im Vereinigten Königreich. Denn es würde vielen Menschen als seltsam auffallen, wenn man die Gebühren eines angeblichen englischen Anwalts oder gar englische Erbschaftsteuern auf ein Bankkonto in Nigeria, Pakistan oder Indien überweisen soll. Ich hatte zwar auch schon etliche Fälle, in denen behauptet wurde, es handle sich zum Beispiel um ein Barclays oder NatWest-Konto, die IBAN zeigte aber, dass es in Wahrheit ein Konto in Südostasien oder Afrika war. Nicht jeder kennt die Bedeutung der ersten beiden Buchstaben einer IBAN.
Betrüger mit der Masche "Erbschaft aus England" brauchen also ein englisches Bankkonto. Das ist heutzutage nicht einfach, denn der Kontoinhaber muss - wie in Deutschland auch - viele Formulare ausfüllen und gegenüber der Bank seine Identität und seinen Wohnsitz nachweisen. Die englische Bank weiß also, wem das Konto gehört. Bei einem Betrugsfall kann die englische Polizei also zumindest ermitteln, wem das Konto gehört, über das die betrügerischen Gelder laufen. Diese Gelder bleiben zwar in aller Regel nicht lange auf dem britischen Bankkonto, sondern werden - meist noch am selbst Tag - ins ferne Ausland weiter überwiesen. Aber dennoch: Man kann den Kontoinhaber verhaften und befragen, wer die Hintermänner sind.
Jedenfalls theoretisch.
Warum hat die Polizei selten Erfolg gegen Online-Betrüger?
Theoretisch deshalb, weil die oft extrem gut organisierten Betrüger Wege finden, die Transparenz auszuhebeln. Nur zwei Beispiele aus meiner eigenen Praxis:
- Die Scammer zahlen einem - oft bereits vorbestraften oder drogensüchtigen oder völlig naiven - Kontoinhaber in England 1.000 Pfund dafür, dass sie dessen existierendes Bankkonto eine Weile "nutzen" dürfen, d.h. sie lassen sich dessen Online-Banking-Passwörter geben. Die Betrugsopfer zahlen dann vermeintliches Anwaltshonorar, Erbschaftsteuern oder sonstige Fantasiegebühren auf dieses Konto ein. Die Betrüger überweisen die Gelder sofort nach Singapur, Senegal oder sonst wohin weiter. Bis die Bank in Großbritannien misstrauisch wird, etwa weil sich Betrugsopfer dort beschweren und ihr Geld zurück verlangen, vergehen einige Wochen. Irgendwann wird das Konto dann gesperrt und die Betrüger verwenden ein anderes Konto. Der englische Kontoinhaber hat sich dabei zwar selbst strafbar und schadensersatzpflichtig gemacht, bei diesem ist aber meist nichts zu holen, da er keinerlei Vermögen hat. Die Hintermänner im Ausland kennt er nicht, weil diese ihm - wenn überhaupt - falsche Namen und Adressen gegeben haben. Und selbst wenn er den Echtnamen des Hintermanns kennt, muss man versuchen in Pakistan oder Kenia Schadensersatz einzuklagen. Viel Erfolg dabei!
- Die Betrüger entsenden selbst eigene Leute nach Großbritannien (oft Inder, Pakistanis oder Staatsangehörige eines anderen Commonwealth Landes), die sich dort eine Wohnadresse besorgen und nach einiger Zeit meist gleich bei mehreren verschiedenen englischen Banken Girokonten eröffnen. In einem Fall meiner Kanzlei liefen 27 Bankkonten auf einen einzigen solchen Betrüger. Der Kriminelle verlässt das Vereinigte Königreich wieder, hat aber per Online-Banking weiterhin Zugriff auf die Konten, bis die Bank eben wieder misstrauisch wird und das Konto einfriert. Verhaften oder verklagen kann man dann in England wieder niemanden.
Es gäbe noch viele weitere Beispiele für das einfallsreiche und perfide Vorgehen der organisierten Internet-Betrüger. Dies erklärt, warum die englische Polizei hier meist einen Schritt zu spät ist. Das Hase und Igel-Spiel gewinnt in 99 Prozent der Fälle die kriminelle Organisation.
Kurzes Zeitfenster unmittelbar nach der Überweisung
Ist jemand den Betrügern auf den Leim gegangen, merkt das aber sofort danach, besteht ein sehr kurzes Zeitfenster, in dem man versuchen kann, das Konto bei der englischen Bank einfrieren zu lassen. Auch das ist aber leichter gesagt als getan, denn - wie oben ausgeführt - bleibt das Geld maximal ein paar Tage dort liegen, bevor es weiter transferiert wird.
Was nicht funktioniert, ist eine Strafanzeige bei der deutschen (Kriminal-)Polizei zu stellen. Das ist zwar der formal "richtige" Weg. Aber bis die deutsche Polizei die Anzeige aufnimmt und über die offiziellen Kanäle an die englischen Ermittlungsbehörden schickt, sind Wochen vergangen. Oft versanden diese Anzeigen komplett und der betrogene Anzeigeerstatter hört nie wieder etwas.
Was in aller Regel ebenfalls keine Wirkung hat, ist eine Anzeige direkt bei der englischen Polizei selbst. Zwar ruft die offizielle Polizei-Website ActionFraud dazu auf, jeden (versuchten) Betrugsfall (Scam, Fraud, Phishing etc.) dort zu melden. Das bringt dem geschädigten Betrugsopfer aber gar nichts, denn - gut versteckt - findet sich auf der Action Frau Website hier der Hinweis:
"Action Fraud does not investigate the cases and cannot advise you on the progress of a case."
Das ist ernüchternd und nicht das, was jemand erwartet, der das Betrugsanzeige-Formular ausfüllt.
Man erhält von Action Fraud zwar ein Aktenzeichen für den Fall und der Sachverhalt wird - laut Website - an die Polizei weitergeleitet, aber in gut 20 Jahren und groß geschätzt 100 Strafanzeigen, teils wegen Betrugsfällen im mittleren oder sogar hohen fünfstelligen Bereich, haben unsere Mandanten so gut wie nie auch nur eine Eingangsbestätigung oder ein Ermittlungsergebnis erhalten.
Was also tun?
Eine - wenn auch kleine - Chance auf Erfolg hat man mit dem Versuch, über einen englischen Anwalt so schnell wie möglich das konkrete Bankkonto in England einfrieren zu lassen. Banken sind in Großbritannien gesetzlich verpflichtet, Konten sofort vorläufig zu sperren, wenn die Bank Anhaltspunkte für kriminelle Aktivitäten sieht. Wenn also der Anwalt eines Betrugsopfers die Bank über den Betrugsfall informiert und sofortige Sperrung verlangt, macht die Bank sich unter Umständen schadensersatzpflichtig, wenn sie das Konto nicht (oder zu spät) einfriert und das Geld deshalb weiter transferiert werden kann.
Streng genommen ist jede englische Bank bei verdächtigen Kontoaktivitäten (suspicious activities) verpflichtet, selbst proaktiv tätig zu werden und der englischen National Crime Agency (NCA) - dem britischen Pendant zum US-amerikanischen FBI - einen Verdachtsbericht zu schicken (submit a suspicious activity report (SAR)). Klingt in der Theorie gut, in der Praxis sind die Banken meist zu langsam, obwohl es mit KI heutzutage nicht so schwer sein sollte, verdächtige Aktivitäten sofort zu bemerken (Überweisungen kommen aus Deutschland mit seltsamen Verwendungszwecken wie "Erbschaftsteuer" oder "Geldwäschezertifikat" und das Geld wird sofort in ein außereuropäisches Land weiter geleitet).
Auf das proaktive Tätigwerden der englischen Bank kann man sich jedenfalls nicht verlassen. Auch von Deutschland aus die Bank in England anzurufen (Callcenter!) oder eine E-Mail zu schreiben (ein Brief dauert zu lang), können Sie sich sparen. Die einzige Chance ist, dass ein englischer Solicitor die Bank formell kontaktiert, den Fall schildert und dringlich eine vorläufige Sperrung verlangt, ggf. parallel mit einem Antrag an das englische Gericht. Das kostet natürlich Anwaltsgebühren und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass auch diese Maßnahmen zu spät kommen, denn einen englischen Anwalt zu beauftragen, dauert auch ein paar Tage (siege dieser Beitrag hier).
Es hilft nur Prävention! So erkennen Sie Betrugsversuche und schützen sich
Der einzig sichere Weg, einen Schaden zu vermeiden, ist es, den Betrugsversuch als solchen zu erkennen und kein Geld ins Ausland zu überweisen. Auf meinem Blog Cross Channel Lawyers habe ich über die vergangenen Jahre hinweg bereits mehrere Beiträge mit Tipps und Tricks gepostet, woran Sie Betrüger erkennen und echte Erbfälle im Ausland (die gibt es ja tatsächlich manchmal) von erfundenen Hoax-Stories zu unterscheiden:
- Internet-Betrugsmasche: ausländische Erbschaft
- Betrugsmasche Erbschaft aus England: Wie schützt man sich?
- Sind Erbenermittler seriös?
- Das Bullshit-Zertifikat der Woche (Erbfall-Betrugsmasche)
- Echter Erbschein oder Betrugsversuch? Nachlasszeugnis von “The Isle of Man”
- Verwandter in England gestorben: Wie erfährt man, was im Testament steht?
- Nein, man erbt nicht einige Millionen von jemanden, den man kaum kannte!
- Betrugsmasche „Millionenerbschaft aus England“ (mit Beispielen gefälschter Unterlagen)
Weitere Information zum Internet-Betrug auch auf der Website des Deutschen Auswärtigen Dienstes, etwa zur sog. "Nigeria Connection": https://nigeria.diplo.de/ng-de/service/-/2574044
Top 5 Checkliste, woran Sie den "Erbschaftsmasche-Betrug" erkennen
- Eine englische Bank kontaktiert Sie nicht per E-Mail und akzeptiert auch keine E-Mails von Kunden. Punktum! Damit sortieren Sie bereits 90 Prozent der Betrüger aus.
- Banker, Anwälte, Finanzbeamte aus England schicken Ihnen keine Kopien oder Scans ihrer Reisepässe, Mitarbeiterausweise oder sonstige ID-Dokumente. Oder wann hat Ihnen Ihr deutscher Finanzbeamter zuletzt eine Kopie seines Reisepasses geschickt? Und Barrister haben niemals etwas mit der Abwicklung von Erbschaften zu tun, denn Barrister sind reine Prozessanwälte. Falls Sie also mit einem englischen "Barrister" korrespondieren (oder mit einem "Barrister & Solicitor", was in England als Doppelqualifikation gar nicht existiert), ist es definitiv ein Betrugsfall und der angebliche Barrister ist in Wahrheit ein 23jähriger Krimineller in einem indischen Betrüger-Call-Center.
- Um an eine Erbschaft in England zu gelangen, muss das englische Nachlassgericht einen Erbschein erteilen, genannt "Grant of Probate" oder "Letters of Administration" (ja, Letters mit s am Ende). Dieser ist nur echt, wenn er unten rechts ein silbernes Siegel hat. Details dazu hier: https://www.cross-channel-lawyers.de/erbscheine-in-england-wales-seit-2020-in-neuem-gewand/ Erzählt Ihnen ein (angeblicher) Banker oder Anwalt, dass der Grant im konkreten Fall nicht nötig ist, dann lügt er.
- Es gibt keine "Anti-Geldwäsche-Zertifikate" oder sonstige albernen "Clearing Certificates" und englische Banken oder Anwälte treiben von Ihnen auch keine Erbschaftsteuer ein. Das macht das englische Finanzamt (HMRC) schon selbst, und zwar auch per echten Briefen, nicht per E-Mail. Die Abwicklung eines echten englischen Erbfalls sowie die Zahlung der englischen Erbschaftsteuer erkläre ich ausführlich hier: https://erbschaft-in-england.de/wp-content/uploads/2022/06/gp_folder_erbschaft_in_england.pdf
- Sie müssen in aller Regel keine hohen Beträge vorab nach England überweisen, schon gar nicht an Banken. Es kann zwar sein, dass ein echter englischer Anwalt einen Vorschuss verlangt, wenn er für Sie tätig werden soll. Ein echter Solicitor wird Sie aber nie unter Zeitdruck setzen, wird nicht mehr als 1.000 bis 2.000 Pfund verlangen und wird Zahlung per Kreditparte akzeptieren (was Betrüger wegen der Widerrufbarkeit von Kreditkartenzahlungen nicht tun).
Wenn Sie in einem konkreten Erbfall im Zweifel sind, ob es sich um betrug handelt, kontaktieren Sie mich gerne für eine kurze Einschätzung. Meist sind die Betrugsfälle für mich so leicht erkennbar, dass ich Ihnen nach zwei Minuten sagen kann: "Lassen Sie die Finger davon!
Medienberichterstattung
Sollten Sie betrogen worden sein, ist das extrem peinlich und belastend. Ich hatte pensionierte Akademiker, die mehr als 100.000 Euro nach England überwiesen haben und sich gegenüber sich selbst und der Familie dann für ihre Naivität in Grund und Boden schämten. Vom finanziellen Schaden ganz zu schweigen. Manche Mandanten haben Ersparnisse und Lebensversicherungen aufgelöst und an die Kriminellen verloren.
Überlegen Sie vielleicht dennoch, ob Sie mit Ihrer Geschichte vielleicht an die Medien gehen wollen, um wenigstens andere Personen durch die Berichterstattung zu schützen. Für Journalisten, insbesondere für TV-Sender, ist es nämlich nur dann eine Story, wenn sie das Thema an einer konkreten Person festmachen können, die sich traut, ihre Geschichte öffentlich zu machen.