Juristische Expertengutachten zu Fragen des Rechts von England und Wales
Bei internationalen Rechtsstreitigkeiten müssen deutsche Richterinnen und Richter den Rechtsfall oder einzelne Teilaspekte häufig nach ausländischem Recht entscheiden. Insbesondere im Wirtschaftsrecht sind deutsche Zivilgerichte oft mit grenzüberschreitenden Sachverhalten konfrontiert. Ausländisches Recht wird durch die zunehmenden internationalen Verflechtungen und die seit den 1990er Jahren viel höhere private und berufliche Mobilität aber auch in anderen Bereichen des Zivilrechts relevant, zum Beispiel:
- in Erbrechtsfällen (in England lebender Erblasser hat Vermögen in Deutschland)
- in familienrechtlichen Auseinandersetzungen (Scheidung oder Kindschaftssachen)
- bei der Auslegung englischer Verträge oder Gesellschaftsstatuten
- u.v.a.m.
Ist fremdes Recht für die Entscheidung des deutschen Zivilgerichts maßgeblich, muss das deutsche Gericht dieses ausländische Recht von Amts wegen ermitteln, § 293 ZPO:
"Das in einem anderen Staat geltende Recht, die Gewohnheitsrechte und Statuten bedürfen des Beweises nur insofern, als sie dem Gericht unbekannt sind. Bei Ermittlung dieser Rechtsnormen ist das Gericht auf die von den Parteien beigebrachten Nachweise nicht beschränkt; es ist befugt, auch andere Erkenntnisquellen zu benutzen und zum Zwecke einer solchen Benutzung das Erforderliche anzuordnen."
Eigene Kenntnis des Gerichts?
Es liegt in der Natur der Sache, dass ein deutscher Richter im ausländischen Recht sehr selten "sattelfeste" eigene Kenntnisse hat. Insbesondere in angelsächsischen Rechtsordnungen, die auf für deutsche Juristen sehr unübersichtlich erscheinendem Case Law beruhen (Details hier), fällt es schwer, sich zu einer bestimmten Rechtsfrage "mal schnell" durch Lektüre von Gesetzestexten und Kommentarfundstelle einen Überblick zu verschaffen.
Zwar existieren auch im Recht von England und Wales in vielen Bereichen Gesetzestexte (https://www.legislation.gov.uk/) und zum Teil sogar so etwas ähnliches wie Kommentare, dennoch sind die meisten Rechtsfragen in England von Gerichtsentscheidungen (Präjudizien) geprägt, die mal strikte Bindungswirkung haben und manchmal nicht. Hauptquelle für die Rechtsfindung in England und Wales sind daher die Urteilsdatenbanken (www.bailii.org). Zu alldem wabern in etlichen Rechtsgebieten ergänzend noch uralte Grundsätze des Common Law.
Es kommt erschwerend hinzu, dass die Prozessparteien und deren anwaltliche Vertreter zum ausländischen Recht nicht selten einseitig, lückenhaft oder schlicht komplett ins Blaue hinein vortragen. Im Stile von "Es ist ja allgemein bekannt, dass nach englischem Recht das gesamte Vermögen der Ehepartner im Scheidungsfall hälftig geteilt wird." Well, in der Tat ist dieser "equal split" der Ausgangspunkt, allerdings gibt es dazu je nach Konstellation aber auch ein Dutzend Modifikationen und Ausnahmen.
Handelt es sich also nicht um eine banale, vom deutschen Gericht leicht selbst zu recherchierende Rechtsfrage, wird der deutsche Zivilrichter auf externe Expertise von juristischen Sachverständigen zum englischen Recht zurückgreifen müssen. Wie das Gericht hierbei vorgehen kann bzw. muss, war 2020 Gegenstand einer BGH-Entscheidung
BGH-Urteil zur Ermittlung ausländischen Rechts durch deutsche Zivilgerichte
Im Urteil vom 18.03.2020 (IV ZR 62/19) stellt der Bundesgerichtshof unter anderem klar:
- Das ausländische Recht ist von Amts wegen zu ermitteln. Die Parteien können also nicht etwa eine falsche Auslegung ausländischen Rechts unstreitig stellen.
- Der deutsche Richter muss das ausländische Recht so anwenden, wie es dort "tatsächlich gilt", wie also der Richter des betreffenden Landes auslegt und anwendet. Das deutsche Gericht darf fremdes Recht also nicht selbstständig anwenden, seine eigene Interpretation also nicht an die Stelle der tatsächlichen ausländischen Rechtspraxis stellen.
- Wie der Tatrichter sich die Kenntnis verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen.
- An die Ermittlungspflicht werden umso höhere Anforderungen zu stellen sein, je komplexer oder je "fremder" im Vergleich zum deutschen Recht das anzuwendende ausländische Recht ist.
Der Richter ist also zur proaktiven Ermittlung des tatsächlichen ausländischen Rechts (soweit entscheidungsrelevant) verpflichtet, prinzipiell unabhängig vom Parteivortrag. Wobei es den Prozessparteien natürlich freisteht, dem Gericht die Ermittlung des fremden Rechts durch hochwertigen Parteivortrag zu erleichtern, ggf. sogar Privatgutachten von juristischen Experten vorzulegen. Ob und wie der deutsche Tatrichter auf Basis eines solchen Parteivortrags dann (weiter) ermittelt, steht in dessen pflichtgemäßem Ermessen.
Allzu leicht darf es sich der deutsche Richter dabei allerdings nicht machen. So monierte der BGH bereits in einer früheren Entscheidung (BGH, Urteil vom 14. Januar 2014 - II ZR 192/13; auch in NJW 2014, 1244):
"Der Tatrichter darf sich bei der Ermittlung ausländischen Rechts nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muss auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen."
Zur Ermittlung des relevanten Fremdrechts kann das deutsche Gericht insbesondere die Hilfe von juristischen Experten als Sachverständige in Anspruch nehmen. In komplexen Konstellationen muss das deutsche Gericht dies wohl sogar. Wegen der besonderen Bedeutung der Rechtsprechung (Case Law) in England und Wales, wird das Gericht nämlich sehr schnell an die Grenzen der eigenen Beurteilungsmöglichkeiten stoßen.
Wer erstellt in der Praxis Sachverständigengutachten zum englischen Recht?
In der Praxis wenden sich manche deutsche Gerichte in solchen Fällen zunächst an wissenschaftliche Institute oder Universitäten (mit Lehrstühlen zur Rechtsvergleichung), zum Beispiel:
- Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht
- Institut für internationales und ausländisches Privatrecht an der Universität zu Köln
Solche Institute sind aber natürlich nicht verpflichtet, Gutachtenaufträge eines deutschen Gerichts anzunehmen. Selbst wenn Fachkompetenz zum jeweiligen ausländischen Recht und akademisches Interesse am für das Gericht fallrelevanten Thema vorhanden sind, dauert die Erstellung von Gutachten durch solche Institute oft sehr lang. Außerdem wird es in vielen Fällen auf die Rechtspraxis in England ankommen, wie also englische Gerichte diese Frage aktuell entscheiden oder entscheiden würden.
Ein Expertengutachten durch einen juristischen Praktiker - etwa einen in England tätigen Rechtsanwalt (Solicitor oder Barrister) oder einen (ggf. pensionierten) englischen Richter - führt daher häufig schneller zu einem für das deutsche Gericht und die Prozessparteien nützlichen Ergebnis.
Gutachter-Netzwerk der Platform EnglischesRecht.de
Einige der Experten und Gastautoren dieses Blogs erstellen regelmäßig Sachverständigengutachten zu Fragen des englischen Rechts, Professor Ostendorf etwa zum englischen Vertragsrecht, Rechtsanwalt Schmeilzl unter anderem zum englischen Erbrecht und Familienrecht. Für viele weitere Gebiete des Rechts von England und Wales können wir qualifizierte juristische Experten empfehlen, die für deutsche Gerichte, Schiedsgerichte, Behörden oder Prozessparteien Gutachten zum englischen Recht erstellen.
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