01.11.2024 |

Streit um das "domicile" des Verstorbenen bei deutsch-englischen Erbfällen

Was tun, wenn unklar ist, wo der Erblasser seinen dauerhaften Lebensmittelpunkt hatte

Bei Erbfällen mit Bezug zu England hängt viel davon ab, wo der Erblasser sein „domcile“ hatte. Zum einen, welches materielle Erbrecht auf den Erbfall anzuwenden ist, also das deutsche BGB oder das englische succession law, was zum Beispiel für die Frage wichtig ist, ob enterbte Personen Pflichtteilsansprüche geltend machen können.

Zum anderen entscheidet das "domicile" des Verstorbenen darüber, ob das britische Finanzamt (HM Revenue and Customs) Erbschaftsteuer (Inheritance Tax) auf das gesamte Weltvermögen des Erblassers erhebt oder „nur“ auf das in UK liegende Vermögen. Hatte der Verstorbene Wohnsitze in verschiedenen Ländern, zum Beispiel sowohl in England als auch in Deutschland, stellt sich die schwierige Frage, wo dieser aus Sicht des englischen Rechts sein „domicile“ hatte.

Warum ist das Kriterium domicile so wichtig?

Der Rechtsbegriff „domicile“ existiert in Deutschland nicht, sondern ist eine Spezialität des Common Law. Im deutschen Erbrecht und Erbschaftsteuerrecht unterscheidet man die Rechtsbegriffe (einfacher) Wohnsitz sowie gewöhnlicher Aufenthalt, die beide relativ einfach anhand objektiver Kriterien definierbar sind. Hat jemand in Deutschland eine Wohnung, die er länger als etwa zwei bis vier Wochen im Jahr nutzt, dann hat er hier einen Wohnsitz, mag es auch nur ein Zweit- oder Drittwohnsitz sein. Das deutsche Finanzamt besteuert in diesen Fällen das gesamte Weltvermögen des Verstorbenen. Das nennt man unbeschränkte Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) und es ist für die Besteuerung egal, in welchem Land die Erben wohnen. Allein die Tatsache, dass der Verstorbene einen (einfachen) Wohnsitz in Deutschland hatte, löst die volle (unbeschränkte) deutsche Erbschaftsteuer aus.

Der Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ meint mehr als einfacher Wohnsitz. Der gewöhnliche Aufenthalt einer Person mit mehreren einfachen Wohnsitzen ist dort, wo er aktuell (!) den Lebensmittelpunkt hat, wo also zum Beispiel die Familie überwiegend wohnt, die Kinder zur Schule gehen, der Erblasser die meiste Zeit des Jahres verbracht hat usw. Auch hier kann es schwierige Grenzfälle geben (Details siehe hier: www.cross-channel-lawyers.de/definition-gewoehnlicher-aufenthalt-laut-eu-erbrechts-verordnung/), aber meistens kann man den gewöhnlichen Aufenthalt anhand objektiver Kriterien ganz gut ermitteln.

Dieses juristische Tatbestandsmerkmal „gewöhnlicher Aufenthalt“ ist seit Inkrafttreten der EU-Erbrechtsverordnung zum 17.8.2015 bei Erbfällen in Europa von zentraler Bedeutung, da von diesem gewöhnlichen Aufenthalt abhängt, welches nationale Erbrecht auf den Erbfall angewendet wird und welches Nachlassgericht zuständig ist.

Unterschied zu Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt

Der englische Rechtsbegriff „domicile“ unterscheidet sich vom „gewöhnlichen Aufenthalt“. Denn Domicile hat eine subjektive Komponente („domicile is where the heart is“) und wird zudem langfristig definiert. Ein britischer Staatsbürger kann also aus Sicht des britischen Finanzamts sehr wohl seinen gewöhnlichen Aufenthalt lange Jahre in Deutschland haben, trotzdem aber seinen domicile Status in England behalten, etwa weil das britische Finanzamt davon ausgeht, dass der britische Staatsbürger später einmal zurück nach UK gezogen wäre, um dort seinen Lebensabend zu verbringen.

Anders formuliert: Wollen die Erben eines in Deutschland lebenden britischen Staatsbürgers nicht auch die satten 40 Prozent britische Inheritance Tax auf die in Deutschland belegenen Assets zahlen, dann müssen sie das englische Erbschaftsteuerfinanzamt davon überzeugen, dass der (in Deutschland) verstorbene Erblasser nicht nur seinen aktuellen gewöhnlichen Aufenthalt hier hatte, sondern auch sein Domicile, also seinen dauerhaften, nicht nur vorübergehenden Lebensmittelpunkt. Man muss also Indizien dafür vorbringen, dass der Verstorbene sein bisheriges „domicile of origin“ aufgegeben hat und stattdessen Deutschland als „domicile of choice“ gewählt hat. Hierfür existiert in Großbritannien sogar ein eigenes Steuerformular, das IHT 401, hier mit Erläuterungen zum Download verfügbar (www.gov.uk/government/publications/inheritance-tax-domicile-outside-the-united-kingdom-iht401).

Für die ganz genauen: Es gibt kein „british domicile“, sondern man hat entweder „domicile England and Wales“ oder „domicile Scotland“, denn das Domicile entscheidet ja – neben der Erbschaftsteuer – gerade auch darüber, welches nationale Erbrecht gilt (succession law). Da sich das Erbrecht von England & Wales stark vom Erbrecht Schottlands unterscheidet, wäre ein „UK domicile“ sinnlos, da zu unpräzise.

Wer entscheidet bei Streit um domicile?

Was passiert nun in der Praxis, wenn bei einer verstorbenen Person unklar ist, wo diese ihr domicile hatte, entweder weil der Verstorbene mehrere selbst genutzte Häuser oder Wohnungen in verschiedenen Ländern besaß oder – häufiger – weil der Verstorbene vor seinem Tod zwar ausschließlich in Deutschland lebte, aber davon gesprochen hatte, später einmal zurück nach England zu ziehen?

Die Erben bzw. die Testamentsvollstrecker sind in solchen Fällen gut beraten, ein Gutachten eines auf „domicile law“ spezialisierten Prozessanwalts (Barrister) einzuholen, bevor sie das Nachlasszeugnis beantragen und vor allem bevor sie die Erbschaftsteuererklärung abgeben. Denn andernfalls haften sie entweder dem britischen Finanzamt für zu wenig bezahlte Steuern oder aber den Erben für (unnötig) zu viel bezahlte Steuern. Die Tatsache, dass in England auf Fragen des Domicile spezialisierte Anwälte existieren, verdeutlicht die Komplexität des Themas.

Sind sich die Beteiligten (also die Begünstigten und die Executors) uneinig, raten Barristers in aller Regel dazu, die Frage des Domicile zunächst verbindlich vor dem High Court in England klären zu lassen.

Ausblick 2024/2025: Änderungen im britischen Erbschaftsteuerrecht

Nun ist der Begriff des "domicile" für das englische Erbschaftsteuerrecht aber aller Voraussicht nach in bestimmten Fallkonstellationen ein Auslaufmodell. Die neue Labour Regierung hat nämlich im Oktober 2924 bekannt gegeben, dass das bisherige "domicile" Prinzip ersetzt werden soll durch ein dem "gewöhnlichen Aufenthalt" des EU-Rechts nahe kommendes "long term residence" basiertes System. Wer künftig mindestens 10 Jahre im Vereinigten Königreich gewohnt hat, dessen gesamtes Weltvermögen (global estate) unterliegt dann im Todsfall der satten britischen Erbschaftsteuer. Hier das Zitat aus der Veröffentlichung auf offiziellen GOV.UK Website vom 30.10.2024:

"The current domicile-based system of Inheritance Tax will be replaced with a new residence-based system. This will affect the scope of non-UK property brought into UK Inheritance Tax for individuals and trusts. An individual is long-term resident (and in scope for Inheritance Tax on their non-UK assets) when they have been resident in the UK for at least 10 out of the last 20 tax years and then remain in scope for between 3 and 10 years after leaving the UK." 

Es wird in Zukunft daher häufiger den Fall geben, dass sowohl das deutsche Finanzamt als auch das britische HMRC das gesamte Weltvermögen des Verstorbenen besteuern wollen. Ob und in welchem Umfang dann weiterhin wechselseitige Anrechnungsmöglichkeiten bestehen ("unilateral relief"), wird sich über die nächsten Jahre hinweg zeigen. Bisher gelten die Vorschriften der einseitigen Anrechnung von ausländischer Erbschaftsteuer wie in diesem Artikel erläutert: www.cross-channel-lawyers.de/anrechnung-im-ausland-gezahlter-erbschaftsteuer/

Weitere Infos und Praxistipps zur Abwicklung von Erbfällen in England:

Eine ausführliche Checkliste zum Thema Erbscheinsantrag in England, Erbschaftsteuererklärung in England und Abwicklung des nachlassvermögens (Hausverkauf, Kontenauflösung, Aktiendepots und Kfz-Verkauf in England) finden Sie hier zum Download.

Beitragsfoto: Bild von Tumisu auf Pixabay

Kategorie: ErbrechtImmobilienrechtBankrechtNachlassplanungFamily OfficeSteuernSteuerrechtEnglischer Trust

Autor
Bernhard Schmeilzl

Bernhard Schmeilzl

Rechtsanwalt & Master of Laws

+49 (0) 941 463 7070 schmeilzl@grafpartner.com

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