
Sind "Ich hafte für nichts"-Vertragsklauseln nach englischem Recht wirksam?
Die meisten Rechtsordnungen sehen für den Fall von Vertragsverletzungen eine unbeschränkte Schadensersatzhaftung vor. Auf den ersten Blick stimmt man dem zu: Wer sich in einem Vertrag zu einer Leistung verpflichtet, soll nicht zwei Klauseln später die Schadensersatz-Haftung dafür beschränken oder gar komplett ausschließen können, falls er diese Leistung dann doch nicht (rechtzeitig) erbringt.
Andererseits: Wer eine Leistung - warum auch immer - nicht erbringen kann, wird dafür schon mit dem Ausfall der Gegenleistung bestraft. Soll ein Unternehmen darüber hinaus dann auch noch in unbeschränkter Höhe für Schäden (Gewinnausfälle) des Vertragspartners haften?
Das Thema hat also zwei Seiten. Vertragliche Haftungsbeschränkungen in (internationalen) Wirtschaftsverträgen sind daher ein wichtiges Instrument zur Risikobegrenzung gerade für diejenige Vertragspartei, die als Erbringer der Sachleistung (Lieferung, Werk- oder Dienstleistung) typischerweise die größeren Haftungsrisiken trägt.
Die Krux der Haftungsbeschränkung nach deutschem Recht
Das deutsche Recht ist in dieser Hinsicht wenig hilfreich: Haftungsklauseln sind regelmäßig Allgemeine Geschäftsbedingungen und unterliegen damit einer Inhaltskontrolle gem. § § 309 Nr. 7, 307 BGB. Aus diesen Vorschriften (insbes. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB) leitet der BGH u.a. etwa ab, dass eine Beschränkung der Haftung allenfalls auf den vorhersehbaren Schaden möglich ist, wenn und soweit die (auch nur einfach fahrlässige) Verletzung einer „wesentlichen Vertragspflicht“ im Raum steht. Gerade im unternehmerischen Geschäftsverkehr ist aber vieles vorhersehbar (etwa hohe Produktionsausfallschäden im Fall einer verspäteten oder mangelhaften Lieferung von Komponenten durch einen Zulieferer). Da Hauptleistungspflichten (darunter die Pflicht zur rechtzeitigen und mangelhaften Lieferung) nach Auffassung der Rechtsprechung zugleich immer auch wesentliche Vertragspflichten darstellen, kann die Schadensersatzhaftung im deutschen Recht damit kaum noch wirkungsvoll eingeschränkt werden (instruktiv insoweit kürzlich auch OLG Hamm, Urt. v. 26.1.2023 – 2 U 49/21, LMuR 2023, 590, Rn. 43).
Kaum Restriktionen für Freizeichnungsklauseln im englischen common law
Diametral anders sieht es im englischen Recht aus. Nahezu uneingeschränkte Vertragsfreiheit gewährt zunächst das englische common law, das den Ausschluss der Haftung anders als § 276 Abs. 3 BGB selbst im Fall von Vorsatz (!) zulässt (s. etwa Scottish Power UK Plc v BP Exploration Operating Company Ltd [2015] EWHC 2658 Rn. 170) und eine zwingende Grenze lediglich bei arglistiger Täuschung (fraud) zieht, falls ein Vertragspartner dadurch zum Vertragsschluss oder einer anderen nachteiligen Vermögensdisposition veranlasst wurde („fraud unravels all“). Mit Blick auf die Auslegung von Freizeichnungsklauseln hat die englische Rechtsprechung darüber hinaus schon seit längerem ihre traditionell restriktiven Grundsätze gelockert, auch wenn die Auslegung von Klauseln, die „Folgeschäden“ (indirect and consequential losses) oder kaufrechtliche Gewährleistungspflichten ausschließen sollen, nach wie vor eng ist.
Differenzierte Prüfung der Angemessenheit von Haftungsklauseln nach dem Unfair Contract Terms Act 1977
Zwar ist 1978 der Unfair Contract Terms Act 1977 (UCTA) in Kraft getreten, der Freizeichnungsklauseln im unternehmerischen Geschäftsverkehr einer weiterreichenden Inhaltskontrolle unterwirft – teilweise auch unabhängig davon, ob Individualvereinbarungen oder AGB vorliegen. Im Fall einer Verletzung vertraglicher oder deliktischer Sorgfaltspflichten (negligence) kann etwa die Haftung für Tod und Körperverletzung gar nicht und für alle anderen Schadensarten nur ausgeschlossen werden, wenn sie sich im Einzelfall als angemessen (reasonable) darstellt (section 2 Abs. 1, 2 UCTA). Vertragliche Haftungsbeschränkungen für den Fall einer Verletzung aller anderen Vertragspflichten (strict obligations) unterliegen einer Inhaltskontrolle am Maßstab der Angemessenheit dagegen nur dann, wenn sie als „written standard terms of business“ des Haftungsschuldners zu qualifizieren sind (section 3 UCTA). Die Schwelle dafür ist höher als im Rahmen von § 305 Abs. 1 BGB: Insbesondere führen ernsthafte Verhandlungen der Parteien über einzelne Bestandteile von AGB dazu, dass diese insgesamt als ausgehandelt anzusehen sind – auch wenn das mit Blick auf die streitgegenständliche Haftungsklausel selbst nicht der Fall war (African Export-Import Bank v Sheba Exploration and Production Co Ltd (2017) EWCA 854 Rn. 36).
Interessant ist auch, dass bei der Prüfung der Angemessenheit teilweise ganz andere Gesichtspunkte eine Rolle spielen als im deutschen Recht. Während die Inhaltskontrolle von Haftungsklauseln durch die „Kardinalpflichtenrechtsprechung“ des BGH in einem äußerst starren Korsett gefangen ist, fließen bei der Angemessenheitsprüfung im englischen Recht gem. section 11 UCTA unter anderem die relative Verhandlungsmacht der Parteien, die Existenz alternativer Bezugsquellen, etwaige für die Haftungsklausel erhaltene Anreize einer Partei sowie (bei summenmäßigen Beschränkungen) das Bestehen von Versicherungsschutz und finanzielle Leistungsfähigkeit des Haftungsschuldners ein.
Als (noch) angemessen hat die Rechtsprechung daher etwa kürzlich die Haftungsklausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Wartungsunternehmens angesehen, mit der die Haftung für sämtliche Schäden aus oder im Zusammenhang mit einem Vertrag über die Wartung von Druckereimaschinen auf die Wartungsgebühren und damit einen Betrag von rund £ 3.000 Pfund beschränkt worden war – der von der Auftragnehmerin eingeklagte und vorgeblich durch eine Verletzung des Wartungsvertrages verursachte Schaden belief sich dagegen auf rund £ 30 Mio (Benkert Ltd v Paint Dispensing Ltd [2022] CSIH 55). Schaut man sich die hier streitgegenständliche Haftungsklausel an:
5.2 Nothing in this Agreement excludes or limits the liability for death or personal injury caused by its negligence or fraudulent misrepresentation.5.3 THE CUSTOMER’S ATTENTION IS SPECIFICALLY DRAWN TO THE PROVISIONS SET OUT BELOW:
5.3.1 the [contractor’s] total liability in contract, tort, misrepresentation or otherwise arising in connection with the performance or contemplated performance of the Services shall be limited to the Basic Charge; and,5.3.2 the [contractor] shall not be liable to the [customer] for any indirect or consequential loss or damage (whether for loss of profit, loss of business or otherwise), costs, expenses or other claims for consequential compensation whatsoever and howsoever caused which arise out of or in connection with this Agreement.”
ist schnell erkennbar, dass sie im deutschen Recht mangels Rückausnahme für Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit und die Verletzung wesentlicher Vertragspflichten vollumfänglich unwirksam wäre. Für den schottischen Court of Session war demgegenüber für ihre Angemessenheit und damit ihre Wirksamkeit entscheidend, dass die Klausel textlich hervorgehoben worden war, das Wartungsunternehmen keine größere Verhandlungsmacht als die Auftraggeberin besaß und die Auftraggeberin zudem weitaus besser in der Lage gewesen sei, mögliche Schadensrisiken in ihrem Unternehmen zu identifizieren und sich dagegen angemessen (sach-)zuversichern.
Freistellung vom UCTA für internationale Wirtschaftsverträge
Für internationale Wirtschaftsverträge kommt ein entscheidender Punkt hinzu: Bei internationalen Lieferverträgen („international supply contracts“ in der allerdings sehr komplizierten kasuistisch abgefassten Definition von section 26 UCTA) sind sämtliche der im UCTA enthaltenen Klauselverbote nicht anwendbar (Trident Turboprop (Dublin) Limited v First Flight Couriers Limited [2009] EWCA Civ 290 Rn. 16 ff.).
Bei allen anderen internationalen Verträgen, die nur aufgrund einer Rechtswahlklausel und nicht bereits durch objektive kollisionsrechtliche Anknüpfung englischem Recht unterliegen, verbleibt es lediglich bei einer Inhaltskontrolle solcher Klauseln, mit der eine Haftung auf den Vertrauensschaden im Fall einer schuldhaften sog. misrepresentation (vorvertragliche Falschaussage einer Partei über eine relevante Tatsache, die die andere Partei zum Vertragsschluss veranlasst hat) ausgeschlossen werden soll, section 27 Abs. 1 UCTA.
Einen überzeugenden inhaltlichen Grund für diese weitreichende Freistellung internationaler Wirtschaftsverträge von der Inhaltskontrolle gibt es nicht: Insbesondere lässt sich pauschal wohl kaum behaupten, dass international tätige Unternehmen weniger schutzbedürftig wären. Tatsächlich geht es hier vor allem um Standortpolitik: Englisches Recht soll durch eine weitgespannte Privatautonomie auch bei Haftungsklauseln für international agierende Konzerne als Vertragsstatut attraktiv bleiben. Rechtspolitisch lässt sich das kritisieren. Allerdings dürfte dieser Umstand auch ein zentraler Grund für die große Beliebtheit von englischem Recht gerade in internationalen Wirtschaftsverträgen sein.
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