Der englische Crown Court verhängt oft deutlich höhere Strafen als deutsche Gerichte
UK Strafjustiz verwendet konkrete Strafzumessungsrichtlinien (Sentencing Guidelines)
Das Foto zeigt die Mauer des berühmt berüchtigten Wandsworth Prison im Süden von London, dem mit gut 1.400 "Plätzen" zweitgrößten Gefängnis Großbritanniens, in dem neben Schriftsteller Oscar Wilde, Postzugräuber Ronnie Biggs und Skandalrocker Pete Doherty auch schon Boris Becker vier Wochen seines Lebens verbringen durfte (bis er dann für den Rest seiner Haftstrafe wegen Insolvenzbetrugs in ein anderes englisches Gefängnis verlegt und später schließlich nach Deutschland ausgewiesen wurde).
Der Zustand britischer Gefängnisse ist erbärmlich
Nicht nur Boris Becker hat sich später über die gruseligen hygienischen Zustände im Wandsworth Prison beschwert (etwa im Stern), auch offizielle Untersuchungsberichte kommen in England regelmäßig zum Ergebnis, dass die britischen Gefängnisse überfüllt, baulich völlig veraltet und mit Ratten und sonstigem Ungeziefer verseucht sind (siehe etwa The Guardian vom 22.8.2024). Man sollte sich (auch) deshalb davor hüten, mit der englischen Strafjustiz in Konflikt zu kommen. Straßenverkehrsdelikte oder Drogenbesitz können in UK erheblich ernstere Konsequenzen haben als in Deutschland.
Vorsicht vor dem englischen Strafrecht und der britischen Strafjustiz
Wenn Deutsche eine Straftat in England begehen und erwischt werden (z.B. Drogenbesitz), sind sie häufig schockiert, wenn die englische Polizei oder der englische Strafverteidiger (criminal defence solicitor) ihnen das Strafmaß nach englischem Strafrecht aufzeigt. Die in England verhängten Geld- und Gefängnisstrafen sind nämlich in so gut wie allen Deliktskategorieren meist erheblich höher als in Deutschland, von Straßenverkehrsverstößen, über Drogendelikte (Drogenbesitz und vor allem Drogenhandel), Sexualdelikte, Gewaltdelikten (assault) bis zu Tötungsdelikten Aber auch Wirtschaftsstraftaten (white collar crime), Betrug, Insolvenzverschleppung, Geldwäsche u.a. werden in England deutlich strenger sanktioniert als in Deutschland.
Deutsche, gegen die in England ein Ermittlungsverfahren oder gar ein Strafprozess läuft, halten die von der englischen Polizei oder Staatsanwaltschaft genannten hohen Gefängnisstrafen oft für einen Bluff und haben die Einstellung "So schlimm wird es schon nicht kommen".
Aber: Im Unterschied zu Deutschland existieren in Großbritannien sehr detaillierte Strafzumessungsrichtlinien (sentencing guidelines), die für jede Straftat relativ genau anordnen, mit wie viel Geldstrafe (fine) oder Gefängnishaft (custody) der Täter rechnen muss. Unterteilt nach Strafzumessungsrichtlinien für Strafverfahren vor dem Magistrates Court (zuständig für minder schwere Delikte) und vor dem Crown Court (zuständig für schwere Straftaten) existieren zwei "Kataloge", in denen alle Delikte des englischen Strafrechts alphabetisch aufgelistet sind, von "abstracting electricity" bis "Witness intimidation". Es lohnt auch, diese Liste der englischen Straftaten einmal durchzurcollen, denn in Großbritannien existieren Delikte, die man in Deutschland so gar nicht kennt.
Diese Strafzumessungsrichtlinien, die für die englischen Strafgerichte (Magistrates Court und Crown Court) gelten, sind nicht zu verwechseln mit dem Code for Crown Proecutors (umgangsprachlich auch "Prosecution Guidance"), also den internen Richtlinien der englischen Staatsanwaltschaft, dem Crown Prosecution Service (CPS), ob und unter welchen Voraussetzungen Delikte verfolgt bzw. ob Ermittlungsverfahren eingestellt werden. Hier die UK Strafverfolgungsrichtlinien am Beispiel der Drogendelikte: www.cps.gov.uk/legal-guidance/drug-offences
Deutsche machen gegenüber der englischen Polizei oft Fehler
Es kommt hinzu, dass Deutsche, die von der englischen Polizei verhaftet und/oder vernommen werden, sich häufig ungeschickt verhalten. Es ist in England, anders als in Deutschland oder den USA, nämlich riskant, kategorisch zu schweigen. Im englischen Strafverfahren kann Schweigen nämlich zu Lasten des Angeschuldigten gewertet werden. Details dazu hier:
- Haben Beschuldigte in UK das Recht zu schweigen?
- Schweigen geht im englischen Strafverfahren oft zu Lasten des Angeklagten
- Strafprozess in England und Wales - Ablauf eines Strafverfahrens vor dem englischen Crown Court
Auch die Frage, ob und wann man ein Geständnis angibt, sollte man dringend frühzeitig mit seinem englischen Strafverteidiger besprechen, denn ein Geständnis (guilty plea) bringt laut den Strafzumessungsrichtlinien (sentencing guidelines) eine Strafminderung von bis zu einem Drittel.
Müssen deutsche Straftäter nach einer Verurteilung in England in ein englisches Gefängnis?
Oder werden diese gleich nach Deutschland angeschoben? Nun, wie man am Beispiel Boris Becker gesehen hat, müssen deutsche Straftäter prinzipiell ihre Strafe auch in einem englischen Gefängnis absitzen. Allerdings sieht das englische Strafvollzugsrecht vor, dass ausländische Straftäter (foreign offenders) nach Ablauf einer Mindestdauer der Strafverbüßung in England "entlassen" und in ihr Heimatland überstellt werden. Details zu dieser vorzeitigen Haftentlassung und Abschiebung ins Heimatland im Early Removal Scheme for Foreign Offenders
Strafverteidiger in England
Aus all diesen Gründen (höherer Strafrahmen bei den meisten Delikten sowie entsetzliche Haftbedingungen, auch schon während einer etwaigen Untersuchungshaft) sollten Deutsche, die in Großbritannien ins Visier der Strafverfolgungsbehörden (Crown Prosecution Service) kommen, nicht noch ein zusätzliches Risiko eingehen, indem sie sich gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft ungeschickt verhalten, etwa zu viel aussagen oder aber jede Aussage kategorisch verweigern. Beides ist schlecht. Da die Abläufe des Strafermittlungsverfahrens in UK deutlich anders sind, als man das aus Deutschland (und aus US-amerikanischen Krimiserien) kennt, sollte man bei ernsthaften Tatvorwürfen nicht versuchen, sich da alleine durchzuschlagen.
In England einen geeigneten Strafverteidiger zu finden, der den Fall übernehmen will und auch die deutsche Seite bzw. die internationalen Aspekte des Falls im Blick hat (etwa das Early Removal Scheme for Foreign Offenders), ist allerdings gar nicht so einfach.
Wer einen Anwalt für Strafrecht in England benötigt und keine persönlichen Kontakte hat, googelt am besten "criminal defence solicitor" in Kombination mit der Stadt bzw. Region (also z.B. "London" oder "Manchester") und ggf. dem Strafvorwurf, also z.B. "drug possession" oder "careless driving" oder "fraud". Gerne empfehle ich auf Wunsch auch Experten aus meinem persönlichen Netzwerk von englischen Anwälten.
Beitragsfoto: Foto von John Cameron auf Unsplash