26.11.2024 |

Verhaftet in England - Was tun und was nicht?

Die englische Polizei wirft Ihnen eine Straftat vor? Sie wurden verhaftet und sollen vernommen werden? Checkliste und Praxistipps

Checkliste und Praxistipps für das Verhalten gegenüber der englischen Polizei

Deutsche, die von der englischen Polizei verhaftet werden, haben zu den Themen Schweigerecht und Vernehmung durch Polizeibeamte meist US-amerikanische Krimis im Kopf, in denen der Beschuldigte meist nur sagt: "No comment. I want a lawyer". So weit so gut.

Aber England ist nicht USA! Die Rechte von Polizisten und die Abläufe eines Strafverfahrens sind in Großbritannien erheblich anders als man das aus dem Fernsehen kennt. Insbesondere gilt in UK kein uneingeschränktes Schweigerecht des Beschuldigten / Angeklagten. Genauer gesagt: Schweigen darf ein Beschuldigter in England schon, nur darf dieses Schweigen dann - anders als in Deutschland oder den USA - vor einem englischen Strafgericht in vielen Fällen gegen den Beschuldigten gewertet werden! Was das Schweigerecht natürlich aushöhlt und nutzlos macht. Mehr dazu hier: www.englischesrecht.de/blog/schweigen-geht-im-englischen-strafverfahren-zu-lasten-des-angeklagten

Ablauf einer Verhaftung: Was darf die englische Polizei?

A) Verhaftung in England (arrest)

Eine Verhaftung (arrest) durch die englische Polizei erfolgt auf der Rechtsgrundlage des Police and Evidence Act 1984 (abgekürzt: PACE) konkret auf Basis der Paragrafen 24-33. Die Verhaftung ist nur rechtmäßig, wenn der die Verhaftung vornehmende Polizist (arresting officer) dem Verdächtigen ausdrücklich mitteilt:

  • dass er verhaftet ist (that he is under arrest) und
  • was der Grund für die Verhaftung ist (the ground for the arrest).

Der Police and Evidence Act 1984 wird ergänzt durch die für die Handlungspraxis der englischen Polizei wichtigen Verhaltensrichtlinien, die Codes of Practice. Von diesen neun Codes of Practice (A bis I) ist für Verhaftungen und Polizeigewahrsam der PACE Code C besonders relevant, da er die konkreten Belehrungspflichten der englischen Polizei enthält, sowie die Rechte und Pflichten der Polizei bei Verhören (police interviews).

Nach PACE Code C, para. 10.4 und 10.5 muss die englische Polizei den Verhafteten mit folgendem Wortlaut belehren ("the caution"):

“You do not have to say anything. But it may harm your defence if you do not mention when questioned something which you later rely on in Court. Anything you do say may be given in evidence.”

Wie oben schon erwähnt, sträuben sich einem deutschen Strafverteidiger die Nackenhaare bei der Vorstellung, dass schlichtes Schweigen eines Beschuldigten später im Strafprozess nachteilige Konsequenzen für ihn haben kann. Aber in Großbritannien ist das so. Der englische Strafrichter oder die Jury in einem Crown Court Strafprozess kann im Prozess insbesondere negative Schlüsse über die Glaubwürdigkeit des Beschuldigten ziehen, wenn dieser entlastende Umstände (etwa ein Alibi) nicht bereits in der Vernehmung durch die Polizei vorgebracht hat, sondern erst später im Prozess. Es ist daher für Beschuldigte in England viel schwieriger, sich gegenüber der Polizei "strategisch optimal" zu verhalten. In Deutschland ist der Standardrat jedes Strafverteidigers: "Gegenüber der Polizei die Klappe halten! Ausnahme: Es gibt keine Ausnahme!" In Deutschland gibt man eine Stellungnahme in Ruhe schriftlich ab und erst nachdem der Strafverteidiger die vollständige Strafermittlungsakte gelesen und ausgewertet hat.

In einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren in England läuft das anders. Das Ziel muss also sein, nichts zu sagen, ohne dass es später negativ gewertet wird. Tipps dazu unten im Kapitel Checkliste.

B) Polizeigewahrsam in England (detention at the police station)

Der wegen eines Tatverdachts Verhaftete ("the suspect") wird in aller Regel auf die Polizeistation gebracht. Dort werden seine Personalien festgestellt, er wird durchsucht und in der Regel werden Fotos gemacht und Finderabdrücke genommen. Verantwortlich dafür, dass verfahrenstechnisch alles korrekt verläuft und die Rechte des Verhafteten beachtet werden, trägt der "Custody Officer". Dieser Custody Officer ist nicht identisch mit dem ermittelnden Polizeibeamten ("investigating officer"), sondern soll das Verhalten der Polizeibeamten gegenüber dem Verdächtigen gerade überwachen. Hierfür wird der gesamte Aufenthalt des Verhafteten auf der Polizeistation sowie alle Maßnahmen im "custody record" schriftlich protokolliert. Details im PACE Code C, Art 2.1.

Die Polizei kann in dieser Phase der "detention" auch sogenannte "identification evidence" Maßnahmen durchführen, zum Beispiel den Verhafteten Augenzeugen präsentieren. Die Voraussetzungen sowie der Ablauf solcher Maßnahmen ist detailliert geregelt, siehe PACE Code D.

Der Hauptzweck der "detention" ist allerdings die Vernehmung des Verdächtigen durch die Polizei ("interview with the suspect"). Auch hier sind die Abläufe detailliert geregelt, nämlich in PACE Code C und Code E. Vor Beginn der Befragung muss der Verdächtige nochmals explicit belehrt werden (the caution). Unter bestimmten Voraussetzungen, wenn die Polizei zum Beispiel bereits konkrete Beweismittel gefunden hat (Drogen in der Manteltasche, Blutspuren an der Kleidung o.ä.), muss eine besondere Belehrung erfolgen ("special caution").

Druck oder Einschüchterung sind im Rahmen der Befragung ebenso verboten wie Versuche, den Verdächtigen durch falsche Behauptungen zu einem Geständnis zu bewegen. Die englische Polizei hat im Rahmen solcher Interviews also erheblich weniger Möglichkeiten als deren Kollegen in den USA, die ja bekanntlich sogar lügen dürfen ("Wir haben einen Zeugen, der Sie am Tatort gesehen hat"). Das ist englischen Vernehmungsbeamten nicht erlaubt.

Polizeiliche Vernehmungen in England laufen insgesamt erheblich ruhiger und "gesitteter" ab als man das aus amerikanischen Krimis kennt. Nach PACE Code C, para. 11.5 ist jede Art von "oppression" verboten. Darunter fallen bereits das Anschreien eines Verdächtigen oder das sich hinter den Verdächtigen stellen, um diesen körperlich zu bedrängen, sich über ihn zu beugen usw.

Besonders wichtig: Das Interview wird in England von der Polizei stets auf "Tonband" aufgenommen (Section 60 PACE). Die immense Bedeutung dieser Audio-Aufzeichnung der polizeilichen Befragung wird von deutschen Verdächtigen und Beschuldigten meist immens unterschätzt. Diese Mitschnitte können von der Staatsanwaltschaft später im Strafprozess in England vorgespielt werden. Sagt der Verdächtige also zu einem Detail falsch aus, sei es aus Nervosität oder Sprachverständnisproblemen oder weil er sich schlicht irrt, kann das später der Jury vorgespielt werden, um die Glaubwürdigkeit des Angeklagten zu untergraben. Ebenso wenn der Verdächtige aggressiv antwortet oder sich anderweitig ungeschickt verhält, etwa sarkastische Bemerkungen macht, aus Nervosität unpassend lacht usw. All das wird aufgezeichnet und kann später im Gerichtssaal verwendet werden.

Einen guten Einblick in die Praxis der polizeilichen Vernehmung von Verdächtigen und Beschuldigten gibt auch der 65-seitige Praxisleitfaden "Interviewing Suspects" des britischen Innenministeriums (Home Office):

C) Entscheidung über die Eröffnung eines Strafermittlungsverfahrens (charging the suspect)

Nach Section 41 PACE darf die Polizei in England einen Verdächtigen maximal 24 Stunden per "detention" festhalten, ohne dass diesem offiziell eine Straftat zur Last gelegt wird ("being charged"). Unter besonderen Voraussetzungen kann diese Frist auf 36 Stundenverlängert werden. Bis dahin muss also die Entscheidung fallen, ob der Verdächtige ohne weitere Schritte aus dem Polizeigewahrsam entlassen wird, oder ob gegen ihn ein offizielles Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Dies entscheidet in Fällen von Kleinkriminalität (minor cases) die englische Polizei selbst, im Regelfall aber die englische Staatsanwaltschaft, der "Crown Prosecution Service (CPS)".

Checkliste: Wie verhalten Sie sich am besten?

Im Fall einer Verhaftung durch die englische Polizei sollte man - gerade als Ausländer und Nichtmuttersprachler - die Situation äußerst ernst nehmen. Die Freundlichkeit und Zurückhaltung englischer Polizeibeamter täuscht. Es kann um hohe Geldstrafen oder im Extremfall sogar Gefängnis gehen. Vergehen, die in Deutschland vergleichsweise harmlose Folgen haben (z.B. Besitz relativ kleiner Drogenmengen), werden in UK erheblich strenger geahndet.

Was also tun?

  • Keine unüberlegten spontanen Äußerungen! Sie können zu Beginn nicht abschätzen, was die Polizei weiß oder glaubt zu wissen.
  • Informieren Sie eine Vertrauensperson über Ihre Verhaftung. Diese kann im Hintergrund ggf. bereits einen Strafverteidiger organisieren und sonstige Unterstützungsmaßnahmen vorbereiten. Das Recht, jemanden über die Verhaftung zu informieren, steht in Section 56 (1) PACE.
  • Schlucken Sie Ihren Stolz hinunter und verlangen Sie einen Dolmetscher, selbst wenn Sie gut Englisch sprechen. Das verschafft Zeit und einen taktischen Vorteil. Sie haben bei der Befragung länger Zeit nachzudenken. Außerdem kennen Sie die Bedeutung rechtlicher Fachbegriffe nicht, selbst wenn Ihr Alltagsenglisch sehr gut ist.
  • Verlangen Sie einen Anwalt, konkret einen englischen Strafverteidiger (criminal defense solicitor). Auch wenn Ihnen die Situation vielleicht gar nicht allzu bedrohlich erscheint, das kann in England täuschen. Sie wissen nicht im Detail, welche Strafen in UK für welches Verhalten droht und Sie kennen vor allem die Abläufe eines englischen Strafermittlungsverfahrens nicht. Wenn Sie nach 24 Stunden und einer umfangreichen Befragung (ohne Strafverteidiger) zu Ihrer Überraschung nicht aus dem Gewahrsam entlassen werden, sondern Untersuchungshaft in einem englischen Gefängnis angeordnet wird, ist die Not und Hektik groß. Daher besser frühzeitig einen Anwalt beiziehen, auch wenn dadurch der Aufenthalt in der Polizeistation länger dauert. Das Recht auf einen Anwalt steht in Section 58 PACE. Die englische Polizei muss - wenn der Verdächtige einen Strafverteidiger verlangt - das Defence Solicitor Call Centre (DSCC) kontaktieren, um einen Pflichtverteidiger zu organisieren. Die bessere Alternative ist natürlich ein selbst ausgewählter englischer Strafverteidiger, da dieser in der Regel motivierter ist als ein Legal Aid Duty Solicitor.

Kernfrage: Schweigen oder nicht?

Die wichtigste Frage, die ein Verdächtiger - am besten zusammen mit seinem englischen Strafverteidiger - entscheiden muss, ist ob und was er in einer Vernehmung als Verdächtiger (caution interview) gegenüber den Ermittlungsbeamten aussagt (Nochmals: Audio Recording!). Dass reines Schweigen im englischen Strafermittlungsverfahren riskant ist, habe ich oben bereits erläutert. Auf gar keinen Fall sollte man allerdings falsche Angaben machen.

Es ist ein Klassiker, dass jemand, der tatsächlich unschuldig ist, gegenüber der Polizei dennoch lügt, zum Beispiel über seinen Aufenthaltsort. Sagen wir, jemandem wird vorgeworfen, am Dienstag um 21 Uhr einen Autounfall mit Fahrerflucht begangen zu haben. Er ist aber tatsächlich unschuldig und hat für diese Zeit ein Alibi. Dummerweise ist das Alibi, dass er zu dieser Zeit bei seiner Geliebten war, was seine Frau und Familie auf keinen Fall erfahren sollen. Daher lügt er und behauptet, er war wo anders, zum Beispiel im Kino. Weil er sich ja unschuldig weiß, hat er diesbezüglich auch kein Unrechtsbewusstsein. Kann ihm die Polizei nun nachweisen, dass er nicht im Kino war, glaubt ihm später niemand mehr irgendwas. Kommt er nun doch mit der Geliebten als Alibi, sieht das für die Polizei konstruiert und unglaubwürdig aus. Just another lie.

Der amerikanische Strafrechts-Professor James Duane hat ein grandioses kleines Buch darüber geschrieben, warum und wie sich viele Unschuldige gegenüber der Polizei oft unnötig um Kopf und Kragen reden: "You have the right to remain innocent". Das Buch basiert auf seinem millionenfach aufgerufenen YouTube Video der Uni-Vorlesung mit dem unzweideutigen Titel "Don't talk to the police!"

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Professor Duane bezieht sich in seinem Buch und seiner Vorlesung allerdings auf das US-amerikanische Recht. Dort gilt - wie in Deutschland - das uneingeschränkte Schweigerecht ohne dass der Beschuldigte negative Konsequenzen befürchten muss. In England ist das - wie ausgeführt - ein wenig anders.

Aber dennoch: Im Zweifel - gerade als Nichtmuttersprachler - gegenüber der englischen Polizei erst einmal nichts sagen und sich "dumm stellen". Das Ziel ist - wie in Deutschland - eine schriftliche Stellungnahme abzugeben wenn man die genauen Tatvorwürfe kennt und weiß, was die Polizei weiß.

Es kommt aber stets auf die konkreten Umstände des Falles an: Wie schwer ist der Tatvorwurf? Gibt es entlastende Umstände, die ein Verdächtiger "vernünftigerweise" sofort mitteilen würde?

Weitere Informationen zu Polizei, Strafermittlungen und Strafprozess in England:

Beitragsfoto: Lizensiert von alamy.com (Lizenznummer IY04986572)

Kategorie: StrafrechtProzessrechtCrown CourtMagistrates Court

Autor
Bernhard Schmeilzl

Bernhard Schmeilzl

Rechtsanwalt & Master of Laws

+49 (0) 941 463 7070 schmeilzl@grafpartner.com

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