02.02.2025 |

Anwalts-Traditionen und Gerichts-Etiquette in England

Bekleidungsvorschriften Anwälte England

Verhaltensregeln und Bekleidungsvorschriften für englische Prozessanwälte

Das über Jahrhunderte gewachsene englische Rechtswesen ist voller Gebräuche und Gepflogenheiten, die sich Außenseitern nicht gleich erschließen und die häufig auch nicht niedergeschrieben sind. Missachtet man solche überlieferte Gepflogenheiten, etwa als deutscher Anwalt, outet man sich mindestens als Amateur, schlimmstenfalls verärgert man ohne Not und ohne Wissen englische Anwälte oder Richter.

Einige Beispiele für (ungeschriebene) Verhaltensregeln gegenüber englischen Anwälten und das Auftreten im Gerichtssaal (courtroom etiquette):

  • Mit einem englischen Prozessanwalt (barrister) spricht oder gar verhandelt man nie über dessen Honorar. Diese schnöden finanziellen Aspekte übernimmt der Vorsteher (clerk) der Kanzlei, die bei Prozessanwälten, im Unterschied zu den solicitors, übrigens nicht "law office" oder gar (wie in USA) "law firm" heißt, sondern "chambers" (mehr dazu hier). Clerks darf man nicht mit einfachen Assistenten verwechseln und auf keinen Fall herablassend behandeln ("Ich will jetzt direkt mit dem barrister sprechen"). Die Rolle eines erfahrenen chamber clerk ist vielfältig. Er oder sie entscheidet meist, welchem barrister ein Fall zugeordnet wird, welcher barrister also die passende fachliche Qualifikation mitbringt, Kapazität hat und - auch das - dem Mandanten finanziell zumutbar ist. Stundensätze von barristers liegen zwischen 300 Pfund für Berufseinsteiger und 2.000 Pfund für Top Kings Counsels.
  • Barrister schütteln sich bei Gericht nicht die Hände. Nicht etwa aus Unhöflichkeit, sondern weil dies erstens unter Gentlemen traditionell nicht üblich war und man zum anderen nicht den Eindruck erwecken will, dass die Prozessanwälte der gegenüberstehenden Parteien allzu "friendly" miteinander sind. Auch mancher Mandant in Deutschland ist ja oft nicht begeistert, wenn "sein Rechtsanwalt" den gegnerischen Anwälte (aus seiner Sicht) allzu höflich begrüßt.
  • Englische Anwälte bezeichnen sich vor Gericht nicht als "Frau Kollegin" oder „Herr Kollege“, sondern als „my friend“, wenn es sich um einen solicitor handelt (den man in einer Verhandlung als barrister aber selten direkt anspricht), und als „my learned friend“ bei einem barrister. Wie im englischen Parlament spricht man sich nicht direkt an, sondern stets in der dritten Person. Also nicht: „Frau Kollegin, in diesem Punkt haben Sie Unrecht“, sondern „It appears quite obvious that my learned friend is mistaken in her interpretation of the law“. Mehr dazu, speziell für das Verhalten vor dem Crown Court auf der Website der Law Society. Eine humorvolle Gegenüberstellung zwischen dem, was barrister vor Gericht – für deutsche Ohren übertrieben freundlich – sagen, und was sie wirklich meinen, findet sich in dem Buch „Nothing but the Truth“ des unter dem Pseudonym "The Secret Barrister" veröffentlichenden Bestsellerautors.
  • Das Legal Services Committee des Bar Council gab 2009 Bekleidungsempfehlungen heraus, (“Bar Council Guide on Court Dress”), die im Juli 2020 zuletzt überarbeitet wurde und nach wie vor als Richtschnur für barrister gelten, was die Bekleidung von Prozessanwälten vor Gericht betrifft. Sie sind zwar nur eine unverbindliche Empfehlung, in der Praxis hält sich aber die gesamte Anwaltschaft daran.
  • Vor welchen Gerichten in England Anwaltsrobe (gown) und Anwaltsperücke (barrister wig) getragen werden müssen, habe ich in diesem Beitrag bereits ausführlich erklärt: Englische Anwälte tragen Perücke Wer sich optisch vor Augen führen will, wie man als "ordentlicher barrister" vor Gericht auszusehen hat, kann auch auf der Website eines juristischen Ausstatters surfen, etwa Ede & Ravenscrost. Neben Robe und Perücke kann (und muss) man auch Geld für gestärkte Krägen, Laces, besonders geschnittene Hemden sowie - natürlich - eine Box mit Initialen für die teure Perücke ausgeben. Nicht zu vergessen besondere Perücken-Ständer zum auslüften und die barrister bag, eine Art Edel-Turnbeutel (Fotos hier).
  • Die unter der Robe getragenen Anzüge und die Schuhe eines barrister müssen dunkel sein, am besten schwarz oder sehr dunkles grau oder blau. Braun ist bei Traditionalisten im Justizumfeld generell verpönt. Aber eigentlich gilt ja unter britischen "Gentlemen", Geschäftsleuten und Bankern generell, auch außerhalb der Justiz, die Stilregel: "When in town, don't wear brown".
  • Barrister drehen einem Richter nie den Rücken zu und verlässt den Gerichtssaal (bei Ende einer Verhandlung oder bei einer Verhandlungspause) nicht vor dem Richter. Verlässt ein barrister den Gerichtssaal, während ein Richter anwesend ist, verbeugt er sich und geht rückwärts aus dem Saal.

"When in town, do not wear brown"

Die Liste könnte man noch eine Weile fortsetzen. Der Unterschied zu Anwaltsverhalten und allgemeiner Atmosphäre in einem deutschen Gerichtsaal dürfte aber auch mit den obigen Beispielen bereits klar geworden sein.

Der interessante Aspekt daran ist, dass bei vielen dieser Traditionen dem englischen Anwalt gar keine echten Sanktionen drohen, wenn er dagegen verstoßen würde, außer vielleicht einem leicht sarkastischen Kommentar eines Kollegen oder Richters über „brown shoes in court“.

Man hält sich einfach freiwillig und meist auch gerne daran. Schließlich hat man viele Jahre dafür studiert und gearbeitet, endlich die Pferdehaar-Perücke tragen zu dürfen, die heutzutage natürlich auch in einer veganen Ausführung aus Hanf oder Kokosfasern erhältlich ist.

Frisch zugelassene barristers erwerben ihre erste wig übrigens entweder gebraucht oder - wenn neu gekauft - bestreichen das gute Stück mit schwarzem Tee, um vor Gericht nicht mit einer schneeweißen Perücke wie ein Frischling zu wirken.

Werden die Perücken für englische Prozessanwälte abgeschafft?

Es gibt zwar immer mal wieder vereinzelte Kritik an dem traditionellen Anwaltsoutfit, vor allem an den Perücken, auch aus der englischen Anwaltschaft selbst. So fordert etwa Professor Leslie Thomas KC seit Jahren, diese als "sinnlosen Anachronismus" abzuschaffen. Auch 2024 fanden hierzu angeblich wieder Gespräche in der englischen Justiz statt (Details). Bislang hält jedoch die ganz überwiegende Mehrheit der barristers freiwillig an all diesen do’s and dont’s fest. Die Prozessanwälte auf der Insel sind offenkundig stolz auf diese Traditionen. Frühere Initiativen, die Perückenpflicht für barristers abzuschaffen, scheiterten jedenfalls stets daran, dass die Prozessanwälte selbst das überlieferte Outfit behalten wollten.

Mehr zu Anwaltsrecht und Verfahrensregeln in England

Der Autor ist Experte für deutsch-englische Rechtsfälle, insbesondere internationale Zivil- und Wirtschaftsprozesse, Familienrecht sowie Nachlassabwicklung. Im Beck-Verlag verantwortet er den Länderbericht zum Familienrecht von England und Wales sowie das Praxishandbuch zum englischen Zivilprozess. Dieser Beitrag ist ein gekürzter Auszug aus dem Kapitel "Die Anwaltschaft in England und Wales im Detail" des Praxisleitfadens "Der Zivilprozess in England".

Beitragsfoto: Freepik.com (8174 )

Kategorie: ProzessrechtZivilprozesseHigh CourtCrown CourtMagistrates CourtAnwaltsrechtCounty Court

Autor
Bernhard Schmeilzl

Bernhard Schmeilzl

Rechtsanwalt & Master of Laws

+49 (0) 941 463 7070 schmeilzl@grafpartner.com

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