14.02.2025 |

Barrister oder Solicitor: Wer ist der Boss?

Wie ist die Hierarchie zwischen den englischen Typen von Rechtsanwälten?

Gibt es eine Rangordnung zwischen Solicitors und Barristers in England?

Wer in UK einen Rechtstreit führt, braucht zwei Typen von Rechtsanwälten: Solicitor und Barrister. Warum das in Großbritannien so ist und welche Aufgaben die jeweiligen Anwälte erfüllen, erkläre ich hier.

Wie arbeiten diese Solicitors und Barristers nun aber in der Praxis konkret zusammen? Wer macht was? Wer trifft strategische Entscheidungen? Ist einer Koch, der andere Kellner?

Deutsche Prozessparteien haben oft keine oder eine falsche Vorstellung, wie englische Solicitors und Barristers bei der Fallbearbeitung kooperieren, was deren jeweiliges Selbstverständnis ist und welche gegenseitigen Abhängigkeiten bestehen. Da dies bei Mandanten aus Deutschland oft zu Missverständnissen und falschen Erwartungen führt, lohnt sich ein genauerer Blick hinter die Kulissen.

Die verschiedenen Rollen und die fachliche Aufgabenverteilung habe ich bereits erklärt. Wie ist nun aber das Verhältnis zwischen Solicitors und Barristers unter wirtschaftlichen sowie unter psychologischen Gesichtspunkten? Gibt es eine Rangordnung? Nun, stellt man diese Frage in gleichzeitiger Gegenwart beider Berufsgruppen – was als ungehörig empfunden würde – so erhält man die offizielle Antwort, dass beide Arten der Anwaltschaft natürlich auf Augenhöhe arbeiten. Ist das wirklich so?

Wie war es früher?

Historisch war dies lange Zeit anders. Die Ausbildung der barrister erfolgte vom 15. bis ins 18. Jahrhundert an den Inns of Court, was mit hohen Kosten verbunden war. Barrister -Nachwuchs rekrutierte sich daher vorwiegend aus wohlhabenden Familien mit höherem sozialen Status. Über Jahrhunderte sahen Barrister daher recht versnobt auf Attorneys und Solicitors herab. Noch 1846 wetterte der Attorney-General in der Parlamentsdebatte gegen den Entwurf des County Courts Act, der auch anderen Anwälten als Barristers dort (also am County Court) das "right of audience" geben sollte, mit folgenden harschen Worten:

“…the business of the advocate in all our courts, superior or inferior, should be conducted by men of trained education as advocates, of established position as gentlemen, as men of honour (…) a class of men who had enjoyed the highest education, and who were known to be influenced by the highest feelings …. if any monopoly at all were allowed to exist, it would surely be better to place it in the hands of a highly-educated class of men, rather than in those of an inferior class.
Hansard Official Report, HC Deb 15 July 1851, Vol. 118, cc. 779-780

Starker Tobak. Die Zeiten, in denen Barrister ihren „Kollegen der unteren Klasse“ die Eigenschaft als „gentlemen“ und „men of honour“ absprachen, sind gottlob seit langem vorbei.

Die "besseren Juristen"

Dennoch ist aber auch heute evident, dass Barrister in aller Regel die „fachlich besseren“ Juristen sind und als solche auch akzeptiert und geachtet werden, sowohl von Solicitors als auch von den Mandanten. Das erkennt man zum einen an den erheblich höheren Stundensätzen (oft das Doppelte oder Dreifache eines Solicitors), vor allem für erfahrene King’s Counsels.

Zum anderen räumen Solicitors das meist ganz offen ein, wenn sie bei rechtlich komplexen Fragen Gutachten zum einschlägigen case law von spezialisierten Barristern einholen. Die Formulierung hierfür ist meist: "We will have to go to counsel on this."

Wenn Barrister im Hinblick auf drafting, advocacy und Detailkenntnis des einschlägigen case law. überlegen sind, gilt für das Handling von Mandanten, der Sammlung von Beweisen und der Organisation des gesamten Verfahrens das Gegenteil. Hier sind eindeutig die Solicitors versierter. Ebenso bei den in England extrem wichtigen Themen Mediation, Arbitration und Vergleichsverhandlungen (Details hier).

Aber: Solicitors haben die wirtschaftliche Macht

Es sind jedoch die Solicitors, insbesondere Großkanzleien (big firms) und spezialisierte boutique law firms, die die wirtschaftliche Machtposition in der englischen Anwaltschaft besitzen. Denn sie haben den faktischen Zugriff auf Mandanten und entscheiden darüber, welche Barrister (bzw. welche chamber of barristers) mit lukrativen Prozessen und Rechtsgutachten beauftragt werden.

Mandanten folgen nämlich in aller Regel der Empfehlung ihrer Solicitors und formell betrachtet werden Barrister in aller Regel von Solicitors beauftragt und bezahlt, nicht direkt vom Mandanten. Natürlich berechnen Solicitors das Honorar der Barrister an den Mandanten weiter, der hierfür meist einen hohen Vorschuss zahlen muss, weil Barristers nicht in die Verlegenheit geraten wollen, dem Barrister für dessen Vergütung zu haften, das Geld aber nicht beim Mandanten beitreiben zu können.

Für dieses wirtschaftliche Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Berufsständen der Solicitors und Barrister existiert in England der prägnante Spruch:

solicitors feed barristers

Barrister werden sich deshalb davor hüten, den „zuweisenden“ Solicitor von oben herab zu behandeln oder gar gegenüber dem Mandanten schlecht aussehen zu lassen, etwa indem er andeutet, die Dokumentenmappe (bundle) sei unordentlich geführt. Das wäre dann nämlich der letzte Fall gewesen, mit dem dieser Barrister oder seine Chamber von der Solicitor-Kanzlei beauftragt wurde. Auch die oben erwähnte Kontrollfunktion des Barristers findet deshalb in der Praxis eher dezent statt.

Business Development englischer Anwälte: Chambers laden zu Hospitality ein

Diese wirtschaftliche Abhängigkeit des Barrister Berufsstands von ihren Auftraggebern (Fallzuweisern) ist auch der Grund dafür, dass Chambers oft umfangreiches Netzwerk-Marketing betreiben. Solicitors werden regelmäßig zu Fachvorträgen und Seminaren mit „Rahmenprogramm“ eingeladen. Oder man lässt den Vortragsteil gleich ganz weg und lädt zu einem Premier League Fußballspiel oder Theaterabend.

Solche Bewirtungsprogramme nahmen bereits Anfang der 2000er Jahre ein solches Ausmaß an, dass das Bar Standards Board (als Berufsaufsicht der Barrister) sich im Dezember 2006 veranlasst sah, ein Consultation Paper mit dem Titel „ENTERTAINMENT OF SOLICITORS AND OTHERS BY THE BAR. GIFTS TO SOLICITORS“ herauszugeben, welches die Problematik plastisch beschreibt. Hier ein Auszug (Paragraphen (3) und (4) des Consultation Paper:

(3) In recent years there has been a large expansion in the use of entertainment by barristers to further their interests. Usually, the client of the barrister is the solicitor. In general, the lay client will instruct a solicitor, and, where necessary, the solicitor will instruct a barrister. This will usually be the case if the matter is litigious, whether civil or criminal, and the solicitor instructs the barrister with a view to the barrister appearing as advocate in court proceedings, and advising on the evidence and tactics to be adopted. Barristers are also instructed by solicitors for specialist advice, such as tax advice, where barristers hold themselves out as having expertise in a particular specialised area of law. It follows that in the vast majority of cases, the barrister’s client will be the solicitor. It follows, therefore, that any rules restricting entertainment by barristers will principally, but not exclusively, affect entertainment of solicitors.

(4) Entertainment is carried out by individual barristers, or more commonly sets of chambers, with a view to marketing to solicitors or firms of solicitors. Many sets of chambers now have large marketing budgets which involve a substantial amount of entertainment. Some hospitality and entertainment is provided in the context of, and subordinate to seminars and lectures and similar events, but some is not. It is becoming increasingly common for sets of chambers to entertain solicitors and provide hospitality at dinners and with invitations to social and sporting events that have no connection with any specific case, or any general continuing education. Some examples involve the expenditure of considerable amounts of money on individual solicitors.

Diese Initiative des BSB hat jedoch nicht zu restriktiveren bindenden Regeln geführt. In welchem Umfang solche „Hospitality and Entertainment Events“ oder gar Geschenke von Chambers an Solicitors standesrechtlich zulässig sind, ist nur sehr allgemein und ohne konkrete Betragsgrenzen im BSB Handbook geregelt. In der Rubrik “Guidance to Rules C8-C9” finden sich folgende (unverbindliche) Handlungsempfehlungen:

gC18: The following may reasonably be seen as compromising your independence in breach of Rule 8 (whether or not the circumstances are such that Rule rC10 is also breached):.1 offering, promising or giving:.a any commission or referral fee (of whatever size) – note that these are in any case prohibited by Rule rC10 and associated guidance; or.b a gift (apart from items of modest value), to any client, professional client or other intermediary; or.2 lending money to any such client, professional client or other intermediary; or
gC20: The giving or receiving of entertainment at a disproportionate level may also give rise to a similar issue and so should not be offered or accepted if it would lead others reasonably to think that your independence had been compromised.

Barristers müssen somit selbst einschätzen, wie weit sie mit solchen Hospitality-Maßnahmen gehen können und wollen.

Fazit zur Frage der Hierarchie zwischen englischen Anwälten

Auf den ersten Blick erscheinen die "edlen" Barrister als die "höherrangigen" Juristinnen und Juristen in England, da bei komplexen rechtlichen Fragen meist deren Expertise eingeholt wird ("to get opinion of counsel"). Auf den zweiten Blick zeigt sich aber, dass Solicitor die wirtschaftliche Macht haben und von Barrister Chambers daher "gepflegt" werden (müssen).

Weitere Informationen zum englischen Zivilprozess und zum Anwaltsberufsrecht in UK

Beitragsfoto: Lizensiert bei Alamy.com (DW4GX7)

Kategorie:

Autor
Bernhard Schmeilzl

Bernhard Schmeilzl

Rechtsanwalt & Master of Laws

+49 (0) 941 463 7070 schmeilzl@grafpartner.com

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