
Barrister in England sind nicht nur Spezialisten für Prozessrecht
Wer im Vereinigten Königreich Rechtsrat oder anwaltlichen Beistand in einem Zivilstreit oder einem Strafverfahren benötigt, steht einer verwirrenden Anzahl verschiedener Anwaltsberufe gegenüber. Neben der traditionellen Unterscheidung zwischen Solicitor (abgeleitet vom altfranzösischen “soliciteur”: jemand, der etwas beantragt, auf etwas drängt, etwas erbittet) und Barrister (abgeleitet von der hölzernen Barriere, die den Bereich des Richters vom Bereich der Anwälte, Parteien und Zuschauer abtrennt; Barrister sind somit Anwälte, die berechtigt sind, an diese Barriere zu treten und einen Fall vorzutragen), gibt es seit 1990 auch Solicitor Advocates, die ihre Mandanten auch vor höheren Gerichten allein vertreten dürfen. Allerdings ist die Anzahl der Solicitor Advocates in der Praxis verschwindend gering.
Warum die Aufspaltung des Anwaltsberufs (split legal profession) in Solicitors und Barristers?
Warum gibt es in vielen Common Law Rechtsordnungen (wenn auch nicht in allen, siehe USA) diese Trennung des Anwaltsberufs in Solicitors and Barristers (split legal profession)? Einem deutschen Rechtsanwalt, aber auch einem US-amerikanischen Attorney at Law, der ebenso wie ein deutscher Anwalt "Allrounder" ist, erscheint diese Aufgabentrennung künstlich und überflüssig. Warum kann mein Anwalt, der die Akte bestens kennt und die vorprozessuale Korrespondenz mit der Gegenseite geführt hat, den Fall nicht auch selbst vor Gericht präsentieren, Zeugen befragen und Plädoyers halten?
Für englische Juristen dagegen ist die traditionelle Trennung des Anwaltsberufs völlig selbstverständlich und die Aufgabenverteilung zwischen den verschiedenen Typen von Advokaten ganz natürlich. Versuche, diese Trennung aufzuheben oder auch nur zu lockern (siehe die Einführung des Solicitor Advocate) haben sich im Vereinigten Königreich und Irland nicht durchgesetzt, im Unterschied zu Teilen von Kanada und Australien, wo die beiden Berufe verschmolzen (fused) sind; dort lautet die Berufsbezeichnung dann Barrister and Solicitor, was in UK nicht möglich ist. Behauptet ein "englischer Anwalt" auf seiner Website oder seinem Briefpapier, er oder sie sei "Barrister and Solicitor", dann ist es in Wahrheit ein 19-jähriger Krimineller in Belarus, der die Fake-Erbschafts-Masche versucht (Details hier), aber leider eine australische Anwaltswebsite geklont hat.
Man muss sich klar machen, dass diese Rollenverteilung unter den anwaltlichen Verfahrensbeteiligten im Common Law über viele Jahrhunderte historisch gewachsen ist. Bereits im 13. Jahrhundert bestand in England die Trennung zwischen pleaders (die Vorläufer der späteren barristers) und attorneys (Vertreter einer Partei), der Begriff solicitor tauchte erst erheblich später auf und bezog sich zunächst auf attorneys die am damaligen Court of Chancery tätig waren. Die pleaders wiederum wurden unterschieden in serjeants und apprentices at law. Sie versammelten sich in “Inns”, später “Inns of Court”, die bis heute als die beruflichen Zusammenschlüsse (professional societies) der barrister bestehen.
Barrister müssen auch heute noch immer einem der vier Inns of Court beitreten: Gray's Inn, Inner Temple, Lincoln's Inn oder Middle Temple (Details hier). Welchem "Inn" man beitritt, können die Nachwuchsbarrister frei wählen. Die Inns of Court bieten Aus- und Fortbildungsveranstaltungen an und organisieren die sogenannten „Dinners in Hall“, von denen Barrister während ihrer Ausbildung traditionell mindestens 36 besucht haben müssen (qualifying sessions), also eine Art institutionalisiertes „Zwangs-Networking“, das dafür sorgt, dass Nachwuchsanwälte mit erfahrenen Kollegen (und Richtern) in persönlichen Kontakt kommen und von diesen lernen. Ob die Pflicht zur Teilnahme an solchen formellen Dinnern noch zeitgemäß ist, diskutiert dieser ICLR-Blogbeitrag.
Die historische Entwicklung der Anwaltschaft ist ebenso komplex, facettenreich und verwirrend wie die Entwicklung der englischen Gerichtsstruktur. Neben pleaders, attorneys und solicitors existierten auch die Anwaltsberufe proctor and advocate, die in den ecclesiastical courts (unter anderem zuständig für Erbrecht und Scheidungen) sowie den admiralty courts (zuständig für Schiffahrtsangelegenheiten). Einen guten Überblick mit vielen weiterführenden Literaturfundstellen gibt das Manuskript zur Vorlesung „Do we need barristers?“ von Professor Leslie Thomas, King’s Counsel vom 2.2.2023.
Unterschiede im Rollenverständnis von Solicitors und Barristers
Solicitors hatten traditionell das Monopol auf die Prozessführung (conduct of litigation), also u.a. die Erhebung von Klagen im Namen ihrer Mandanten, das Einreichen von Unterlagen (filing documents) und die Zahlung der Gerichtsgebühren. Barristers durften all dies nicht. Ihre Rolle war stattdessen die Präsentation des Falles vor Gericht, insbesondere die juristische Argumentation. Nur sie hatten an höheren Gerichten Rederecht (right of audience).
Beauftragt wurden Barristers nicht von den Mandanten direkt, sondern von Solicitors. Mit schnöden finanziellen Dingen sollten Barrister nicht befasst sein. Sie durften insbesondere keine Mandantengelder entgegennehmen und selbst ihr eigenes Honorar konnten Barrister bei Nichtzahlung nicht einklagen.Ein Auszug aus Graham Boals Memoiren „A Drink at the Bar”, 2021, S. 26:
“Traditionally, a barrister has nothing whatsoever to do with the rather distasteful and vulgar matter of being paid for his services; it would have been serious professional misconduct for a barrister to be found on the telephone to a solicitor negotiating fees…”
Bis heute spricht ein Barrister in der Regel nicht über sein Honorar, sondern überlässt dies seinem Clerk. Die Bedeutung dieser Cerks unterschätzen deutsche Mandanten oft. Es handelt sich dabei nicht nur um bloße Assistenten. Vielmehr organisieren diese Clerks – vergleichbar mit den früher in manchen deutschen Anwaltskanzleien vorhandenen „Kanzleivorstehern“ – alle internen Kanzleiabläufe, sie verteilen die eingehenden Mandatsanfragen auf die Anwälte (je nach fachlicher Qualifikation und Erfahrung des Barristers sowie nach dessen Kapazität) und verhandeln mit den Mandanten (also i.d.R. den beauftragenden Solicitors) das Honorar. Sie sind also für den wirtschaftlichen Erfolg eines Barristers bzw. der Chambers von großer Bedeutung. Meist erhalten Clerks auch eine umsatzbasierte Vergütung bzw. eine Erfolgsbeteiligung. All das erklärt, warum „senior clerks“ in der Hierarchie einer Chamber faktisch ein höheres Standing haben als Junior Barristers.
Vorteile der anwaltlichen Aufgabentrennung
Als Hauptvorteile der Aufgabentrennung zwischen den zwei verschiedenen Anwaltstypen gelten zum einen die hohe Kompetenz der Barrister in der Fallpräsentation, Rhetorik und juristischen Argumentation (advocacy). Zum anderen das Vier-Augen-Prinzip: Da ein Barrister vor dem Gerichtstermin die gesamte vom Solicitor zusammengestellte Fallakte (bundle) noch einmal unabhängig und unbefangen prüft, werden rechtzeitig vor der Verhandlung etwaige Schwachstellen aufgezeigt und rechtliche Aspekte ggf. noch einmal unter einem anderen Blickwinkel beleuchtet. Barrister haben somit eine gewisse Kontrollfunktion, auch wenn sie dies gegenüber Solicitors kaum so formulieren würden, weil der Solicitor ja der Auftraggeber ist. Vor allem große Solicitor-Kanzleien, die auf Wirtschaftsrecht spezialisiert sind, haben pro Jahr ein Honorarvolumen von vielen hundert Millionen Pfund an Barristers zu vergeben. Da ist klar, wer zu wem freundlich sein muss.
Die split profession und die dadurch erforderliche Beiziehung teurer Barrister wird allerdings auch immer wieder als ineffizient, unnötig teuer und anachronistisch kritisiert. Auch hierzu findet sich eine gute Bestandsaufnahme der Argumente pro und contra in der oben bereits verlinkten Vorlesung „Do we need barristers?“ von Professor Leslie Thomas, King’s Counsel vom 2.2.2023.
Durch zahlreiche Gesetzesreformen im Vereinigten Königreich haben sich die Berufsbilder in den vergangenen Jahrzehnten aufeinander zubewegt, jedenfalls auf dem Papier. Die Kompetenzen wurden in beide Richtungen stark erweitert. Solicitors dürfen heute ebenfalls vor vielen britischen Gerichten auftreten, ohne zwingend einen Barrister einschalten zu müssen. Umgekehrt können sich Barrister, wenn sie dies möchten, von Mandanten direkt beauftragen lassen. Allerdings ist beides in der Praxis die absolute Ausnahme, da die meisten englischen Anwälte die traditionelle Aufgabenverteilung nach wie vor als sinnvoll betrachten und an ihr festhalten.
Dies gilt insbesondere für internationale Zivilprozesse sowie wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten. Deutsche Mandanten in einem solchen Rechtsstreit vor englischen Gerichten werden daher so gut wie immer mit beiden Typen von Anwälten zu tun haben. Beleuchten wir daher die zwei Berufsgruppen, deren konkrete Aufgaben sowie die Art der Zusammenarbeit daher noch genauer.
Aufgaben und Rolle der Solicitors: Die Regisseure und Produzenten mit Gesamtverantwortung
Solicitors sind die ersten Ansprechpartner, die direkten juristischen Berater und Vertreter des Mandanten. Dies gilt auch und besonders in Gerichtsverfahren. Die oft gehörte Aussage „Solicitors sind außerprozessuale Vertragsanwälte, Barrister sind Prozessanwälte“ ist schlicht falsch. Gerade in komplexen Zivilprozessen sind solicitor die für den Mandanten wichtigsten Anwälte. Sie ermitteln den relevanten Sachverhalt, prüfen die Rechtslage, entwerfen Schriftsätze und andere Dokumente und vertreten ihre Mandanten, selbst wenn für den konkreten Vortrag des Falles vor Gericht ein barrister eingeschaltet wird.
In der Ausbildung hören angehende englische Juristen oft den Vergleich mit der Ärzteschaft (The Secet Barrister “Nothing but the Truth”, 2022, S. 18):
Solicitor als Allgemeinarzt, der den Patienten insgesamt betreut, und Barrister als punktuell hinzugezogene Fachärzte zur Klärung von Spezialfragen).
Etwas martialischer die Metapher von Alex Woods in seinem Leitfaden “Flying Solo – How to represent yourself in the courts of England and Wales”, 2020:
Solicitors sind die Ingenieure, die das Flugzeug bauen (also den Sachverhalt ermitteln, Dokumente beibringen, Sachverständige instruieren, Schriftsätze vorbereiten), der Barrister ist der Kampfpilot, der das Flugzeug dann in den Einsatz fliegt (also den Fall in der mündlichen Verhandlung präsentiert, Zeugen und Sachverständige befragt, juristische Plädoyers hält und schlagfertig auf Einwände der Gegenseite reagiert).
Oder noch plastischer:
„The solicitor is like the producer of a movie, the barrister is the actor.”
Soll heißen, der Solicitor trägt die Gesamtverantwortung für den Rechtsstreit, diskutiert mit dem Mandanten die Strategie, besorgt und ordnet das Beweismaterial, sucht geeignete Sachverständige aus und holt deren Gutachten ein. Und zu guter Letzt wählt der Solicitor den Barrister aus und versorgt diesen mit allen nötigen Unterlagen für die Verhandlung (sog. „brief to counsel“).
Dieses allgemein durchaus zutreffende Bild muss man allerdings in einigen Aspekten relativieren.
Erstens weil Barristers, auch wenn sie sich primär als „courtroom lawyer“ definieren, in der Regel auch bereits bei den Schriftsätzen mitwirken, vor allem bei der rechtlichen Argumentation. Hier holen Solicitors oft schon weit vor Klageerhebung spezifischen Rechtsrat beim Barrister ein (seek the opinion of counsel), da Barrister eine umfassende Kenntnis der einschlägigen Präzedenzfälle besitzen (expert knowledge of relevant case law and precedent).
Soll heißen, der Solicitor trägt die Gesamtverantwortung für den Rechtsstreit, diskutiert mit dem Mandanten die Strategie, besorgt und ordnet das Beweismaterial, sucht geeignete Sachverständige aus und holt deren Gutachten ein. Und zu guter Letzt wählt der Solicitor den Barrister aus und versorgt diesen mit allen nötigen Unterlagen für die Verhandlung (sog. „brief to counsel“).
Dieses allgemein durchaus zutreffende Bild muss man allerdings in einigen Aspekten relativieren. Erstens weil Barristers, auch wenn sie sich primär als „courtroom lawyer“ definieren, in der Regel auch bereits bei den Schriftsätzen mitwirken, vor allem bei der rechtlichen Argumentation. Hier holen solicitors oft schon weit vor Klageerhebung spezifischen Rechtsrat beim Barrister ein (seek the opinion of counsel), da barristers eine umfassende Kenntnis der einschlägigen Präzedenzfälle besitzen (expert knowledge of relevant case law and precedent).
Zweitens sind erfahrene Solicitors ihrerseits keineswegs nur Sachverhaltsermittler, Dokumentensortierer, Organisatoren und Ablaufkoordinierer (wobei all diese Aspekte nicht zu unterschätzende Voraussetzungen für einen erfolgreichen Zivilprozess sind), sondern sie besitzen auf ihrem Rechtsgebiet oft vertiefte Spezialkenntnisse. Solicitors sind es auch, nicht barrister, die mit der Gegenseite verhandeln, auch nach Klageerhebung, und ggf. einen Vergleich abschließen. Solicitors tragen also die Gesamtverantwortung und sind somit für den Prozesserfolg mindestens so wichtig wie die Barristers.
Aufgaben und Rolle der Barristers: More than "courtroom lawyers"
Die Perücke und Robe tragenden Barrister sind zunächst Spezialisten für den Gerichtssaal (trial specialists), also Experten für Prozessrecht, die juristische Argumentationsführung in Schriftsätzen (drafting) sowie die Präsentation des Falles in der mündlichen Verhandlung, inklusive Zeugenbefragungen und Plädoyers (advocacy).
In der Justizpraxis werden sie als "counsel" bezeichnet, nicht als „counselor“, wie in USA als Anrede für Attorneys-at-Law üblich.
Neben der Expertise als "courtroom lawyers" sind Barrister oft auch Spezialisten für bestimmte materielle Rechtsgebiete, also Kenner der einschlägigen Rechtsprechung zu einem bestimmten Thema, und werden als juristische Berater und Rechtsgutachter beigezogen. Wird es rechtlich komplex, hört ein Mandant vom solicitor meist die Empfehlung: „It may be sensible to obtain counsel’s opinion regarding …“ Oder: "I will have to go to counsel on this."
Frei übersetzt heißt das: „Ich kenne mich nicht mehr aus und schlage dringend vor, dass wir die Stellungnahme eines Barrister zu dieser Rechtsfrage einholen.“ Für die Suche nach ausgewiesenen Expertinnen und Experten auf einem bestimmten Fachgebiet (practice area) sind die Specialist Bar Associations (SBA) eine gute Anlaufstelle. Alle 24 SBAs sind auf der Bar Council Website aufgelistet. Alternativ die etablierten Ranking-Publikationen wie „The Legal 500“ oder „Chambers“ und natürlich die Webauftritte der einzelnen Barrister selbst.
Besonders erfahrene und verdiente barrister werden zu King’s Counsel (KC) ernannt, umgangssprachlich auch als „silks“ bezeichnet wegen der nur von ihnen getragenen Seidenrobe (silk gown). Einfache Barrister tragen Roben aus Wolle.
In den meisten juristischen Publikationen und auch noch auf etlichen Websites und Visitenkarten von barristers findet man allerdings noch die bis zum Tod von Queen Elizabeth II im September 2022 gut 70 Jahre lang gültige Bezeichnung Queen’s Counsel (QC). King James I ernannte im Jahr 1603 Francis Bacon als “one of our Counsel learned in the law”, der Ursprung dieser Auszeichnung für besonders renommierte Juristen. Ursprünglich waren diese King’s Counsel tatsächlich Berater am königlichen Hof, mit der Zeit wandelte sich die Bezeichnung zu einem Ehrentitel für beruflich herausragende oder einflussreiche Anwälte, in der Regel barrister, ausnahmsweise auch solicitor advocates. Seit 2005 entscheidet ein unabhängiges Selection Panel darüber, welche Barrister die begehrte Auszeichnung erhalten, um die man sich aktiv bewerben und ein strenges Auswahlverfahren bestehen muss. In der Ernennungsrunde 2022/2023 waren von 279 Bewerberinnen und Bewerbern 95 erfolgreich und erhielten am 27.3.2023 vom Lord Chancellor den Titel verliehen. Mehr zu den Ernennungskriterien und dem Ablauf des Bewerbungsverfahrens im Februarheft des Counsel Magazin (13.2.2023) und auf der Website der Law Society.
Vor 2005, oblag die Ernennung dem Lord Chancellor, also einem Mitglied des Regierungskabinetts, nach vertraulicher Konsultation mit hochrangigen Richtern und Anwälten, was als völlig intransparentes Verfahren und als „old boys network“ kritisiert wurde.
Barristers sind in aller Regel freiberuflich als Einzelanwälte tätig, die sich zu Bürogemeinschaften zusammenschließen, den sogenannten Chambers (Details dazu hier).
Mandatiert werden Barrister in den meisten Fällen durch Solicitor. Traditionell durfte ein nichtanwaltlicher Mandant einen Barrister gar nicht direkt kontaktieren, sondern musste ausnahmslos über einen Solicitor gehen, dem – wie oben geschildert – die Gesamtkoordination des Falles obliegt und der dem Barrister zuarbeitet, ihm also die Fakten und Beweismittel liefert.
Diese Arbeitsteilung ist entfernt vergleichbar mit der Aufgabenteilung zwischen den Instanzanwälten und den Rechtsanwälten beim BGH in Deutschland). Die Website der Rechtsanwaltskammer beim BGH nennt in der Rubrik „Funktion“ ebenfalls das Vier-Augen-Prinzip sowie das Zusammenwirken von Voranwalt und BGH-Anwalt. Ferner die „Endkontrolle“ durch den BGH-Anwalt. Zitat:
„Im Interesse des Mandanten gilt aber auch: BGH-Anwälte sind aufgrund ihrer Erfahrung mit dem jeweiligen Rechtsmittel und mangels eigener Vorbefassung in der Lage, die Aussichten in der Revisionsinstanz unbefangen zu bewerten, neue Rechtsaspekte aufzudecken, Vortragsschwerpunkte zu ändern und von der Durchführung aussichtsloser Verfahren abzuraten. Der Mandant erhält so eine zweite, unabhängige Beurteilung seiner Sache und die Möglichkeit, die Kosten aussichtsloser Rechtsmittel zu vermeiden.“ Exakt diese Aufgabe haben auch Barrister in England.
In englischen Zivilprozessen erhält der Barrister spätestens einige Wochen vor dem Verhandlungstermin (trial) vom Solicitor dann den „brief to counsel“, also die Zusammenfassung des Falls und Anweisungen an den Barrister – sowie meist auch das trial bundle, also die Zusammenstellung aller relevanten Prozessunterlagen. Arbeiten Solicitor und Barrister gut und vertrauensvoll zusammen, dann leistet der Barrister eine wertvolle Qualitätskontrolle, da er alle Unterlagen noch einmal mit frischen Augen liest und auf Vollständigkeit sowie Stringenz der Argumentationsführung prüft. Das trial bundle kann dann bei Bedarf noch einmal optimiert werden, bevor es ans Gericht geht.
Kann man den Barrister auch gleich direkt mandatieren, also ohne zwischengeschalteten Solicitor?
Die oben dargestellte klassische Rollenverteilung ist auch heute noch der absolute Regelfall in England und Wales. Zwar wurden die Beschränkung in den letzten zwei Jahrzehnten gelockert, so dass die Direktbeauftragung eines Barristers in manchen Bereichen zulässig ist, sofern ein Barrister sich hierzu bereit erklärt und eine entsprechende Zusatzausbildung zum sog. public access barrister erworben hat. Details hier: How to instruct a barrister
Empfehlenswert ist das aber nur im Ausnahmefall, da Barrister auch bei einer solchen Direktmandatierung gerade nicht den gesamten Fall übernehmen, sondern „nur“ die originären Barrister-Aufgaben (also Beratung zu speziellen Rechtsfragen und die Präsentation im Gerichtssaal). Der Mandant muss bei einer direkten Mandatierung eines Barrister daher viele Aufgaben selbst erledigen, um die sich sonst der Solicitor kümmert (Schriftsätze einreichen, schriftliche Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten beibringen, Absprachen mit Gericht und Gegenseite treffen usw.).
Für die allermeisten Zivilprozesse, insbesondere Wirtschaftsstreitigkeiten oder internationale Fallkonstellationen, bleibt es daher bei der klassischen Rollenverteilung zwischen den Anwaltstypen. Deutsche Mandanten, insbesondere auch deutsche Inhouse Lawyer von deutschen Unternehmen, sollten bei einem Wirtschaftsprozess vor einem englischen Gericht unter keinen Umständen versuchen, ein solches Verfahren ohne die Beratung und Gesamtkoordination einer Solicitorkanzlei zu führen. Sie würden an den komplizierten praktischen Abläufen scheitern, Fristen verpasssen und zahlreiche Formfehler begehen.
Weitere Informationen zum anwaltlichen Berufsrecht in England
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Dieser Beitrag ist ein gekürzter Auszug aus dem Kapitel "Anwaltsberufsrecht in England und Wales" im Praxishandbuch "Der Zivilprozess in England" von Rechtsanwalt Bernhard Schmeilzl, Master of Laws (Leicester), Experte für englisches Recht und Rechtsvergleichung zwischen England und Deutschland.

Beitragsfoto: Lizensiert von Alamy.com (DYHBDR)