
Solicitor Advocate: Der dritte Anwaltstypus in England neben Solicitor und Barrister
Wer in England einen Rechtsanwalt braucht, hat die Wahl zwischen einem Solicitor, einem Barrister und einem Solicitor Advocate. Nun, eigentlich hat man nur die Wahl zwischen Solicitor und Solicitor Advocate, weil man einen Barrister in der Praxis nicht direkt direkt beauftragen kann (oder jedenfalls nicht sollte). Den Unterschied zwischen Solicitors und Barristers, deren Aufgaben- und Rollenverteilung sowie das jeweilige berufliche Selbstverständnis, habe ich bereits in diesem Beitrag hier erläutert.
"Solicitor Advocate" - Best of both worlds oder Hans Dampf in allen Gassen?
Traditionell hatten vor den höheren Gerichten in England und Wales prinzipiell nur Barrister das „right of audience“, also „Anspruch, gehört zu werden". Wobei „right of audience“ im englischen Zivilprozessrecht nicht identisch ist mit dem ZPO-Begriff der Postulationsfähigkeit, also dem Recht, wirksame Prozesshandlungen vornehmen zu können, denn den englischen Zivilprozess führt ja gerade nicht der Barrister, sondern der solicitor. „Right of audience“ bezieht sich somit auf den Vortrag in der mündlichen Verhandlung im engeren Sinn. Die Prozessanträge stellt dagegen der Solicitor in den Schriftsätzen.
Solicitors mit Affinität zur "advocacy" (Prozessgewandtheit, rhetorische Expertise, Zeugenbefragung usw.), die ihre Mandanten auch in der mündlichen Verhandlung (trial) selbst vertreten wollen, also keinen Barrister damit beauftragen möchten, können eine Zusatzausbildung durchlaufen und die „advocacy assessment“ Prüfung[in Beweisrecht, Ethik für Prozessanwälte und Rhetorik ablegen, entweder nur für Zivilverfahren, nur für Strafverfahren oder beides (mehr dazu hier).
Als geprüfte "Solicitor Advocates" haben sie dann ebenfalls die “higher rights of audience”, sind somit „Hybrid-Anwälte“ des englischen Prozessrechts. Auch Solicitor Advocates fokussieren sich meist auf ein bestimmtes Rechtsgebiet bzw. eine bestimmte Industrie oder Wirtschaftsbranche.
Für Mandanten hat das den Vorteil, dass (teure) Barrister entweder gar nicht mehr nötig sind oder – wenn man wegen ihrer Fachbereichsexpertise nicht ganz darauf verzichten will – diese nur ganz punktuell hinzugezogen werden müssen, nicht aber für die gesamte Dauer des trial anwesend sein müssen. In England sind mündliche Verhandlungen nämlich in aller Regel erheblich länger als in Deutschland, ein Zivilverfahren wird oft für mehrere ganze Tage am Stück angesetzt.
Solicitor advocates werben mit Aussagen wie: “I undertake my own advocacy at court which allows me to provide clients with a streamlined service and continual representation throughout their matter.” Das erscheint manchen deutschen Mandanten verlockend, weil dies nach Rechtsberatung aus einer Hand klingt, wie sie dies von ihrer deutschen Anwaltskanzlei gewohnt sind.
Theoretisch richtig, nur: Insgesamt nehmen nur sehr wenige Solicitors diese Möglichkeit der Zusatzqualifikation wahr. Im März 2023 registrierte die offizielle Statistik der SRA nur 7.118 solicitor advocates, hiervon waren 2.965 nur im Strafrecht tätig. Von den rund 160.000 Solicitors in England und Wales sind somit nur 4.153 (2,6 Prozent!) daran interessiert, ihre Mandanten auch vor den höheren Zivilgerichten direkt zu vertreten. Dies belegt, dass die große Mehrheit der englischen Anwälte die traditionelle Rollenverteilung gut und richtig findet. Anders formuliert: Die allermeisten Solicitors wollen in aller Regel gar nicht selbst als Prozessanwälte vor Gericht. Deutsche Mandanten sollten daher nicht allzu große Hoffnung darin setzen, einen für ihren internationalen Wirtschaftsprozess ideal geeigneten Solicitor Advocate zu finden.
Weitere Informationen zum englischen Zivilprozess und zum anwaltlichen Berufsrecht in England
- Barristers: Die englischen Edel-Anwälte
- Vormittags Staatsanwalt nachmittags Strafverteidiger - für englische Anwälte ganz normal
- Wie viele Anwälte gibt es in England
- Mein Anwalt trägt eine Perücke
- Warum ist es so umständlich englische Anwälte zu mandatieren?
- Droht der englischen Justiz im Lucy Letby Prozess ein Skandal?
- Solicitors, Barristers und Solicitor Advocates – wer darf eigentlich was?
Dieser Beitrag ist ein gekürzter Auszug aus dem Kapitel "Anwaltsberufsrecht in England und Wales" im Praxishandbuch "Der Zivilprozess in England" von Rechtsanwalt Bernhard Schmeilzl, Master of Laws (Leicester), Experte für englisches Recht und Rechtsvergleichung zwischen England und Deutschland.

Beitragsbild von Pixabay PublicDomainPictures