
Wann braucht man in England eine echte Original-Unterschrift?
Das deutsche Recht kennt für eine ganze Reihe von Verträgen, Urkunden oder Erklärungen noch das Erfordernis der sogenannten "echten" Schriftform nach §126 BGB. Die Vorschriften, nach denen man in Deutschland eine Urkunde mit Original-Unterschrift versehen und vorlegen muss, sind hier aufgelistet.
Ein weiteres, für Rechtsanwälte sehr praxisrelevantes, Beispiel ist § 174 BGB, ebenfalls eine nicht allen bekannte Formvorschrift. Danach kann der Empfänger einer einseitigen Willenserklärung, also etwa einer Kündigung oder einer Abmahnung, diese zurückweisen, wenn die Erklärung durch einen Bevollmächtigten erfolgt (zum Beispiel durch einen Rechtsanwalt, der im Auftrag seines Mandanten einen Vertrag kündigt), dieser Bevollmächtigte seine Vollmacht aber nicht im Original vorlegt. Es reicht also weder eine Kopie, noch ein PDF Scan. Kann man für eine völlig überholte Vorschrift halten, gilt aber Stand heute.
Bis Mitte 2024 galt übrigens auch, dass deutsche Rechtsanwälte ihre Honorarrechnungen mit echter Unterschrift im Original an den Mandanten übermitteln mussten (siehe §10 I 1 RVG alte Fassung). Das wussten sogar etliche Anwälte nicht. Ist nun aber auch egal, denn dieses Erfordernis wurde zum 17.7.2024 abgeschafft und es genügt nun Textform (Details hier).
Wo gelten Schriftform-Erfordernisse im Recht von England? Die "wet ink signature".
Wie sieht es in England aus? Müssen hier manche Verträge oder Erklärungen ebenfalls im Original unterzeichnet werden? Tendenziell geht das englische Recht mit the Thema Originalunterschrift weniger streng vor als das deutsche Recht. Ein Originalunterschrift, das sog. "wet ink signing" (wobei damit natürlich nicht wirklich zwingend ein Tintenfüller gemeint ist, sondern auch eine Originalunterschrift per Kugelschreiber gilt), ist - neben der Unterschrift auf einem Testament (Details hier) - vor allem dann nötig, wenn das Dokument bei einer Behörde eingereicht oder registriert werden muss, also insbesondere:
- Urkunden und Erklärungen im Zusammenhang mit Grundstücken (property) in England, also transfers, leases, charges etc, die beim englischen Grundbuchamt, HM Land Registry, eingetragen werden (siehe Law of Property Act 1925 Verwaltungsrichtlinie zu Deeds des UK Grundbuchamts Practice guide 8: execution of deeds)
- Urkunden und Erklärungen im Zusammenhang mit Unternehmen, die beim Companies House eingereicht und registriert werden (siehe Companies Act 2006, etwa Sections 44 und 46)
- Anträge an und Erklärungen gegenüber Behörden
- eine sog. "Deed of Variation" im englischen Erbrecht (Details hier)
- Vorsorgevollmachten, Lasting Powers of Attorney (Details hier)
- u.a.m.
Verträge in England
Auch wenn es rechtlich nicht zwingend nötig ist, werden auch in England viele Verträge mit echter Unterschrift versehen, insbesondere wenn es "Deeds" sein sollen, also formelle Urkunden ("signed as a deed and delivered"), aus denen später im Ernstfall Ansprüche leichter geltend gemacht und vollstreckt werden können. Ansprüche aus Deeds verjähren auch erst erheblich später, nämlich erst nach 12 Jahren (Details zur Verjährung von Ansprüchen in England hier).
Die Unterschrift auf einer solchen Deed wird in der Regel durch Zeugen (witnesses) bestätigt. Auch deshalb haben Deeds höhere Beweiskraft als einfache Verträge.
Unterschrift durch englische Anwälte (solicitors) und Anwaltsvollmachten in England
Eine für deutsche Augen gewöhnungsbedürftige Praxis englischer Rechtsanwälte ist es, dass Anwaltsbriefe von Solicitors nicht mit ihrem eigenen Namen unterzeichnet werden, sondern mit dem Namen der Kanzlei. Der englische Anwalt bzw. die Anwältin unterschreibt also nicht mit "John Smith" bzw "Jane Smith", sondern zum Beispiel mit "Linklaters LLP". Dies macht manche Mandanten aus Deutschland nervös, weil es wirkt, als wolle der konkrete Solicitor für seine Arbeit keine persönliche Verantwortung übernehmen. In England ist dies jedoch übliches Prozedere, insbesondere bei größeren Kanzleien.
Anwaltsvollmachten sind in England absolut unüblich. Man glaubt einem englischen Anwalt, dass er von seinem Mandanten ordnungsgemäß bevollmächtigt ist. Im englischen Rechtsverkehr ist es somit in der Regel überflüssig, seinen Anwälten eine schriftliche Vollmacht zu erteilen. Wenn sich ein Solicitor als Vertreter eines Mandanten anzeigt, dann hinterfrägt dies in UK niemand. Erklärungen des Solicitors im Namen seines Mandanten werden akzeptiert, auch ohne schriftliche Mandantenvollmacht. Eine dem § 174 BGB entsprechende Vorschrift kennt das englische Recht nicht. Es ist umgekehrt sogar eher ein Warnsignal, dass man es vielleicht mit Betrügern zu tun hat, wenn ein (angeblicher) englischer Solicitor um Unterzeichnung einer „power of attorney“ bittet oder ungefragt eine solche Vollmacht präsentiert.
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