03.01.2025 |

Rechtsanwalt in England abgetaucht, verstorben oder dauerhaft krank. Was tun?

Wenn der englische Anwalt nicht mehr erreichbar ist oder Mandantengelder veruntreut hat

Rechtsanwälte in England sind streng reguliert und werden von der Solicitors Regulation Authority (SRA) auch intensiv überwacht. Insbesondere beim Thema Umgang mit Mandanten-Fremdgeld versteht die englische Anwaltskammer keinerlei Spaß. Anders als in Deutschland finden in UK sogar regelmäßig anlasslose Audits in Anwaltskanzleien statt, bei denen die Mandantenakten sowie die Buchhaltungs- und Kanzleikontounterlagen überprüft werden. Festgestellte Unstimmigkeiten (oder auch nur Schlampigkeit) bei der Akten- oder Kontenführung haben für Anwaltskanzleien in England erhebliche Konsequenzen. Details zu den Anti-Geldwäsche und Know-Your-Client Regularien für englische Rechtsanwälte in diesen Beiträgen:

Unregelmäßigkeiten bei einer englischen Anwaltskanzlei

Trotz dieser Überwachung kommt es auch in Großbritannien ab und zu vor, dass englische Rechtsanwälte Mandantengelder unterschlagen und für eigene Zwecke veruntreuen. Im Herbst 2024 ging der "Axiom Ince" Skandal durch die britische Presse, bei dem die international tätige englische Solicitor-Kanzlei Axiome mehr als 60 Millionen Pfund (73 Millionen Euro) an Mandanten-Fremdgeldern veruntreut hatte (Details zum Axiome-Anwaltsskandal in diesem Beitrag hier).

Neben den zivilrechtlichen (Schadensersatzansprüche) und strafrechtlichen Konsequenzen für die Akteure muss in solchen Fällen in der Regel die betroffene Kanzlei unter Aufsicht der Regulierungsbehörde SRA gestellt bzw. geschlossen (closed down) und abgewickelt werden. Eine solche Maßnahme der anwaltlichen Berufsaufsichtsbehörde bezeichnet man in England als "SRA Intervention" (www.sra.org.uk/consumers/problems/solicitor-closed-down/intervention/).

Die Schließung einer Solicitor-Kanzlei (close down) erfolgt zum Schutz der Mandanten, wenn der Verdacht auf Veruntreuung von Geldern oder auf eine sonstige Verletzung anwaltlicher Berufspflichten besteht. Die SRA beschlagnahmt dann alle Akten und Dokumente, friert die Bankkonten der Kanzlei ein und untersagt der Kanzlei die anwaltliche Tätigkeit. Gleichzeitig bestellt die SRA einen "Intervening Agent".

Kanzleiverwalter (Kanzleiverweser) heißen in England "Intervening Agents"

Aufgabe des Intervening Agent ist es, im Auftrag der SRA die Akten zu sichten, die jeweiligen Mandanten über die Schließung der Kanzlei zu informieren und diesen die Unterlagen zurück zu geben. Der Intervening Agent bearbeitet dagegen ausdrücklich nicht selbst die laufenden Mandate weiter, obwohl diese Agents in aller Regel auch selbst Solicitors sind. Sie übertragen die Fälle auch nicht automatisch an eine andere Kanzlei zur weiteren Bearbeitung. Darum muss sich der jeweilige Mandant vielmehr selbst kümmern, also einen neuen Solicitor auswählen und beauftragen.

Der Begriff "Kanzleiverwalter" oder altmodisch "Kanzleiverweser" (in Österreich bis heute gebräuchlich) trifft es daher als Übersetzung für Intervening Agent nicht ganz, da die Kanzlei gerade nicht "verwaltet" wird, sondern lediglich alle Akten an die jeweiligen Mandaten zurück gegeben werden.

Kanzleiabwicklung auch bei Tod oder Berufsunfähigkeit des Rechtsanwalts

Grund für die Abwicklung einer Anwaltskanzlei muss aber nicht immer eine kriminelle Aktivität (z.B. Veruntreuung von Mandantengeldern) sein. Auch bei Tod oder dauerhafter Berufsunfähigkeit eines Einzelanwalts, wenn also keine Kollegen vorhanden sind, die die Kanzlei fortführen können, schaltet sich die Solicitors Regulation Authority ein und beauftragt für die verwaiste Anwaltskanzlei einen "Intervening Agent" mit der Sichtung aller Akten, Rückgabe der Dokumente an die Mandanten und Auszahlung von Geldern.

Auch hier übernimmt weder die SRA noch der Intervening Agent die Bearbeitung laufender Fälle oder die Übertragung der laufenden Mandate auf einen anderen Solicitor.

Das ist der zentrale Unterschied zur Rechtslage in Deutschland, wo nach §55 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) der von der Anwaltskammer bestellte Kanzleiabwickler die laufenden Mandate fortführt und automatisch vom Mandanten als beauftragt gilt. Nach englischem Anwaltsberufsrecht ist das gerade nicht der Fall!

Beispiel für eine Kanzleiabwicklung durch einen SRA Intervening Agent

Wie eine Schließung (close down) einer englischen Anwaltskanzlei in der Praxis aussieht, sei hier am Beispiel von Jarmans Solicitors (JS) Limited illustriert. Die Kanzlei wurde per Beschluss 15.3.2024 geschlossen und die auf solche Abwicklungen spezialisierte Kanzlei Lester Aldridge wurde zum Intervening Agent bestellt:

Auf ihrer Kanzleiwebsite (hier) erläutert Lester Aldridge den praktischen Ablauf und die Handlungsmöglichkeiten für betroffene Mandanten, ein Auszug:

What is Lester Aldridge’s role?
When the SRA intervenes they use an Intervention Agent, such as ourselves, to help with the process. As an appointed agent to the SRA, we visit the premises of the intervened firm with an SRA representative to collect their files on the day of the intervention. However, we don’t continue the practice of the intervened firm or take over their clients’ matters. Also, we don’t take over responsibility for payment of any trading debts of an intervened firm. If you are a creditor, you will need to contact the former principal(s) of the intervened firm directly, or their administrators (as applicable).

Fazit und Praxistipp

Für Mandanten, insbesondere im Ausland sitzende Auftraggeber, ist es extrem unangenehm, wenn die Kanzlei des beauftragten englischen Anwalts von der SRA geschlossen wird. Man hat bereits Honorarvorschüsse gezahlt, die man entweder gar nicht oder erst viele Monate später zurück bekommt, die Kanzlei (nun die SRA) hat vielleicht wichtige Originaldokumente (deutsche Gerichtsurteile, Erbscheine, Geburts- oder Sterbeurkunden etc.), man verpasst im schlimmsten Fall gerichtliche Fristen in laufenden Prozessen in England.

Wer als deutscher Mandant einen englischen Anwalt sucht, sollte daher vielleicht nicht unbedingt eine Einzelanwaltskanzlei (sole practitioner) beauftragen, sondern eine Kanzlei mit mehreren Solicitors. Denn bei Einzelanwälten ist man nur einen Autounfall oder Herzinfarkt des Anwalt von einem "close down" entfernt. Bei einer englischen Law Firm mit mindestens drei Anwälten besteht dieses Risiko eher nicht.

Weitere Informationen zum Anwaltsberufsrecht in England

Rechtsanwälte in England, sowohl Solicitors als auch Barristers, unterliegen erheblich strengeren berufsrechtlichen Regularien als deutsche Anwälte. Im Praxishandbuch zum Zivilprozess in England beschreibe ich das im Vergleich zu BRAO und BORA sehr verschiedene Anwaltsberufsrecht in Großbritannien im Detail.

Berufsrecht für Rechtsanwälte in England Solicitors und Barristers

Beitragsfoto: Lizensiert von Dreamstime Lizenznr. 27008815

Kategorie: ProzessrechtStrafrechtBehördenStrafverfahrenBetrugAnwaltsrecht

Autor
Bernhard Schmeilzl

Bernhard Schmeilzl

Rechtsanwalt & Master of Laws

+49 (0) 941 463 7070 schmeilzl@grafpartner.com

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