02.12.2024 |

Vernehmung von Beschuldigten durch die englische Polizei

Beschuldigtenvernehmung Polizei England mit Audioaufzeichnung

Regeln für das Verhör eines Beschuldigten durch die englische Polizei

Verdächtigt die englische Polizei jemanden, eine Straftat begangen zu haben, findet meist relativ frühzeitig eine Beschuldigtenvernehmung auf der Polizeiwache statt (caution interview of the suspect). Der Begriff "caution" steht für die Belehrung des Verdächtigen über dessen Rechte. Anders als in den USA sagt man hierzu in UK nicht "reading someone their rights", sondern eben "caution". Details hierüber und über das Problem, dass im englischen Strafprozess das Schweigen des Beschuldigten für ihn negative Konsequenzen haben kann, in diesen Beiträgen:

Im Unterschied zu Deutschland werden Verdächtige in Großbritannien zum Zweck der Beschuldigtenvernehmung in der Regel verhaftet, nicht lediglich vorgeladen. Deutsche Strafverteidiger raten ihren Mandanten stets dazu, nicht bei der Polizei auszusagen, also einer solchen Vorladung durch die Polizei ("bitte erscheinen Sie am ... um ... auf der Polizeiinspektion ... zur Vernehmung als Beschuldigter") nicht Folge zu leisten, sondern die "Einladung" abzusagen und der Polizei mitzuteilen, dass ggf. eine schriftliche Stellungnahme durch den Strafverteidiger erfolgt, nachdem dieser Akteneinsicht genommen hat.

In England läuft das anders. Hier werden Verdächtige nicht freundlich zu Termin gebeten, sondern von englischen Polizeibeamten zum Zweck der Beschuldigtenvernehmung verhaftet und auf eine Polizeistation gebracht, wo sie befragt und verhört werden. In der Regel von einem Kriminalpolizeibeamten (member of the Criminal Investigation Department, CID) im Rang eines Detective Inspector (DI) oder Detective Chief Inspector (DCI). Wenn ein Tatverdächtiger weiß, dass eine solche Verhaftung bevorsteht, kann er oder sie natürlich freiwillig auf der Polizeiwache erscheinen, um bei den Nachbarn das unschöne Bild der Abholung durch Streifenbeamte zu vermeiden.

Aufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung auf "Tonband" (audio recording)

Ein weiterer Unterschied zu Deutschland ist, dass in England seit Einführung des Police and Evidence Act 1984 (abgekürzt: PACE) alle Beschuldigtenvernehmungen per Tonaufnahme aufgezeichnet werden. Sinn und Zweck ist zum einen der Schutz des Beschuldigten selbst vor verfälschten oder ungenauen schriftlichen Vernehmungsprotokollen, als auch die Beschleunigung der Arbeitsweise der Ermitlungsbehörden und Strafjustiz in England.

Der Einführung dieser Audio-Aufzeichnungen durch die britische Polizei ging eine offizielle Untersuchung durch die Royal Commission on Criminal Procedure voraus, deren Ergebnisse im "Report 1981" hier online verfügbar sind. Der Kommissionsbericht thematisierte ganz offen das Problem, dass die bis dahin in England gebräuchlichen schriftlichen Polizeiberichte über eine Berschuldigtenvernehmung nicht selten falsch, unvollständig oder mit einem "Spin" zu Lasten des Beschuldigten versehen waren. Im Originalwortlaut des Berichts:

“The frequency of challenges to the police record of interviews is said to make it essential to have some sort of independently validated record in order, in the eyes of some, to prevent the police from fabricating confessions or damaging statements, or, in the eyes of others, to prevent those who have in fact made admissions subsequently retracting them. (...) It is argued by the Circuit Judges that the present methods of recording interviews are themselves the cause of a substantial number of acquittals of apparently guilty defendants. Many of our witnesses also point to the waste of court time caused by disputes about statement evidence.” 

All diese Probleme sollen im Interesse eines fairen und effizienten Strafverfahrens durch Tonaufnahmen vermieden werden. Die rechtlichen und technischen Voraussetzungen der Tonaufnahmen einer solchen Beschuldigtenvernehmung durch die englische Kriminalpolizei sind im Detail geregelt im Praxisleitfaden (guidance) für die Ermittlungsbeamten "Interviewing suspects". Version 10.0 vom 14.10.2024 zum Download hier:

In Deutschland ist eine solche Aufzeichnung zwar durch § 136 Abs. 4 Satz 1 StPO erlaubt, in der kriminalpolizeilichen Praxis aber nach wie vor äußert selten. Nur beim Verdacht auf ein vorsätzliches Tötungsdelikt schreibt § 136 Abs. 4 Satz 2 StPO die Aufzeichnung vor. Während in Deutschland - außer vielleicht bei Schwerkriminalität - also nach wie vor das von einem Polizeibeamten getippte schriftliche Vernehmungsprotokoll Standard ist (wohlgemerkt: kein Wortprotokoll, sondern Formulierungen des Polizeibeamten), wird in UK seit 1984 alles auf Tonband bzw. heute natürlich digital aufgezeichnet.

Videoaufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen in England

Der Standard der Protokollierung einer Beschuldigtenvernehmung ist in UK - wie oben geschildert - die Tonaufzeichnung. Videoaufzeichnungen (zusätzlich zum Audio-Recording) der polizeilichen Vernehmung finden statt bei Ermittlungen wegen des Verdachts auf Terrorismus und Spionage, wenn der Verdächtige also auf Basis Section 27 des National Security Act 2023 (NSA) festgehalten und vernommen wird. Die Details zu diesen Video-Ton-Aufzeichnungen hat die britische Regierung in diesem Leitfaden (Code of Practice) konkretisiert.

Weitere Informationen zu Polizei, Strafermittlungen und Strafprozess in England:

Kategorie: ProzessrechtStrafrechtStrafverfahrenCrown Court

Autor
Bernhard Schmeilzl

Bernhard Schmeilzl

Rechtsanwalt & Master of Laws

+49 (0) 941 463 7070 schmeilzl@grafpartner.com

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