03.02.2025 |

Rückstau von 73.000 unerledigten Strafverfahren in England soll endlich abgebaut werden

Labour-Regierung gibt 2025 ein Budget für 2.000 zusätzliche Strafprozess-Verhandlungstage am Crown Court frei

Die britische Strafjustiz hat seit vielen Jahren einen katastrophalen Ruf. Langsam, völlig überlastet, unfair, rassistisch. Kleinkriminelle werden verfolgt, Wirtschaftsdelikte werden eingestellt oder verjähren, weil die englische Staatsanwaltschaft (Crown Prosecution Service, CPS) für komplizierte Sachverhalte, bei denen Top-Verteidiger auf der Gegenseite stehen, keine Kapazitäten hat. Englische Strafverteidiger protestieren regelmäßig über die unhaltbaren Zustände und treten manchmal sogar geschlossen in Streik, zuletzt im Oktober 2022 (Details hier).

Seit dem Streik 2022 haben sich die Zustände vor den englischen Strafgerichten aber sogar noch einmal erheblich verschlechtert. Laut offizieller Statistik warteten Stand September 2024 gut 73.000 Angeklagte auf ihre Gerichtsverhandlung am englischen Crown Court. An den ohnehin nur schwere Delikte verwiesen werden, die weniger gravierenden Delikte werden am Magistrates Court verhandelt. Das sind doppelt so viele unerledigte Strafprozesse als als noch 2019. Die Gründe sind: Zu wenig Richter/innen, insgesamt völlig überlastete Justiz, schwerfälliges Geschworenensystem (jury system) und ein Rückstau aus der Zeit der Covid-Pandemie, während der keine (Jury-)Strafverhandlungen durchgeführt wurden.

Ein Leben im "Pause-Modus"

Wartezeiten von drei bis fünf Jahren zwischen Anklage und Gerichtsverhandlung bedeuten, sowohl für die Angeklagten wie auch für die Opfer und deren Angehörige, ein "life on hold", wie es BBC in dieser Reportage nannte. Um den Rückstau (backlog) offener Strafverfahren wenigstens ein wenig zu reduzieren, hat die neue Labour-Regierung im Haushalt 2024/2025 ein Budget für zusätzliche 2.000 Verhandlungstage am Crown Court eingeplant. Wobei man immer bedenken muss, dass ein Verhandlungstag am englischen Crown Court nicht nur bedeutet, dass ein Richter oder eine Richterin sowie ein/e (Pflicht-)Verteidiger/in präsent sein muss, sondern auch 12 Geschworene. Diese müssen angeschrieben, ausgewählt, instruiert und überwacht werden. Ein viel größerer Aufwand verglichen zum Strafprozess in Deutschland. Solche Jury-Prozesse sind zudem auch viel Fehleranfälliger als Strafverfahren ausschließlich mit Berufsrichterinnen und Berufsrichtern, siehe den berüchtigten Kindermörderinnen-Prozess Lucy Letby.

Bewirkt die "Crown Court Crisis" eine große Reform der englischen Strafjustiz?

Jedes Jahr werden etwa zehn Prozent der Crown Court Verfahren zu wenig erledigt und ins nächste Jahre verschoben. Kein Wunder, dass das britische Justizministerium (Ministry of Justice, MoJ) derzeit diverse Reformideen prüft. Im Gespräch ist die Abschaffung des Geschworenen-Systems, entweder komplett oder für alle bis auf die schwersten Delikte, sowie die Schaffung einer dritten Strafgerichtsbarkeit (zwischen Magistrate Court und Crown Court). Da britische Juristen mindestens so konservativ sind, wie deren deutsche Kollegen, eher noch traditionsverhafteter, ist wohl nicht mit revolutionären Veränderungen zu rechnen. Zumal das Problem der fehlenden personellen Ressourcen (Richter, Strafverteidiger, Rechtspfleger) nicht einmal mit mehr Geld kurzfristig gelöst werden könnte.

Weitere Informationen zu Polizei, Strafermittlungen und Strafprozess in England:

Beitragsfoto: entgeltlich lizensiert von Alamy.com (Lizenz-Nr. DW4GX7)

Kategorie: ProzessrechtStrafrechtCrown CourtAnwaltsrecht

Autor
Bernhard Schmeilzl

Bernhard Schmeilzl

Rechtsanwalt & Master of Laws

+49 (0) 941 463 7070 schmeilzl@grafpartner.com

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