25.03.2025 |

Hearsay Evidence: Der Zeuge vom Hörensagen im englischen Zivilprozess

Wann sind "hearsay witnesses" in Gerichtsverfahren in England erlaubt?

Aus amerikanischen Gerichtsfilmen kennt man die Szene, in der ein empörter Prozessanwalt während der Vernehmung eines Zeugen durch den Gegneranwalt aufspringt und den vehementen Einspruch vorbringt:

"Objection, your honor! Hearsay!"

Deshalb denken viele, dass ein Zeuge - vor allem vor anglo-amerikanischen Gerichten - immer nur zu solchen Tatsachen aussagen darf, die er oder sie unmittelbar wahrgenommen, also selbst gesehen, gehört, gespürt usw. hat. Was er oder sie von jemand anderem nur erzählt bekommen hat, so meinen viele, ist als Beweismittel von vornherein generell unzulässig. Also etwa: "Meine Freundin Annalena hat mir erzählt, dass sie den Fritz dabei beobachtet hat, wie er Olafs Fahrrad umgeworfen hat."

Dass Hörensagenzeugen (vor Zivilgerichten in England) verboten sind, ist aber ein - weit verbreiterer - Irrtum.

Beweis vom Hörensagen ist erlaubt. Aber...

Wie in Deutschland (siehe etwa: BGH-Beschluss vom 01.03.2018 – IX ZR 179/17) ist auch im englischen Zivilprozess heutzutage das Beweismittel eines Zeugen vom Hörensagen prinzipiell zulässig (admissable), siehe Civil Evidence Act 1995, section 1(1):

“In civil proceedings evidence shall not be excluded on the ground that it is hearsay.”

Wie oben gezeigt, überrascht dies viele auf den ersten Blick, da im common law eine lange Tradition gegen den Hörensagen-Beweis bestand, die sogenannte „rule against hearsay“. Wobei im common law auch früher schon immer Ausnahmen von diesem Verbot für bestimmte Konstellationen gemacht wurden.

Die zentralen Gründe für die Skepsis des common law gegenüber diesem Beweismittel sind:

  • Eine „Hörensagen“-Zeugenaussage ist nicht das beste, nämlich unmittelbare Beweismittel. Statt einen Zeugen über die (angebliche) Äußerung eines Dritten berichten zu lassen (second hand evidence), sollte man den Dritten selbst als Zeugen vernehmen.
  • Der Dritte hat die Äußerung gegenüber dem hearsay witness damals getätigt, ohne unter Eid zu stehen und über seine Wahrheitspflicht belehrt worden zu sein.
  • Das Gericht kann sich keinen unmittelbaren Eindruck von der Glaubwürdigkeit des Dritten und dem Grad seiner Erinnerungssicherheit verschaffen.

Trotz der prinzipiellen Zulässigkeit dieses Beweisangebots, muss die anbietende Partei strenge Voraussetzungen erfüllen. Gemäß Section 2 CEA 1995 in Verbindung mit CPR r 33.2 muss die Partei, die hearsay evidence nutzen will, dies dem Gegner rechtszeitig vorher ankündigen und begründen, warum nicht der sachnähere Beweis geführt wird, also der Dritte selbst als Zeuge geladen wird. Es gilt also der Vorrang des sachnäheren Beweismittels.

Ferner hat die Gegenseite gem. Section 3 CEA 1995 i.V.m. CPR r 33.4 die Möglichkeit, den Dritten (also die Person, die die Äußerung gemacht hat) zum Kreuzverhör zu laden.

Das Gericht hat besonders sorgfältig zu prüfen, welches Gewicht es einem solchen Hörensagenbeweis zumisst. Hierfür gibt CEA 1995 in Section 4 einige Abwägungskriterien:

Considerations relevant to weighing of hearsay evidence:

(1) In estimating the weight (if any) to be given to hearsay evidence in civil proceedings the court shall have regard to any circumstances from which any inference can reasonably be drawn as to the reliability or otherwise of the evidence.
(2) Regard may be had, in particular, to the following—(a)whether it would have been reasonable and practicable for the party by whom the evidence was adduced to have produced the maker of the original statement as a witness;(b)whether the original statement was made contemporaneously with the occurrence or existence of the matters stated;(c)whether the evidence involves multiple hearsay;(d)whether any person involved had any motive to conceal or misrepresent matters;(e)whether the original statement was an edited account, or was made in collaboration with another or for a particular purpose;(f)whether the circumstances in which the evidence is adduced as hearsay are such as to suggest an attempt to prevent proper evaluation of its weight.

Bedeutung in internationalen Zivilprozessen

Gerade bei grenzüberschreitenden Gerichtsverfahren stellt sich überproportional oft die Frage, ob man einen Hörensagen-Zeugen als Beweismittel benennen darf. Denn im Ausland wohnende Zeugen sind oft nicht bereit, an der aufwendigen Erarbeitung einer schriftlichen Zeugenaussage mitzuwirken oder gar für die Gerichtsverhandlung nach England zu reisen. Die Ladung von Auslandszeugen ist mühsam und teuer. Verweigert sich der direkte Zeuge, kann man versuchen, wenigstens einen Zeugen vom Hörensagen (zum Beispiel einen Arbeitskollegen) zu benennen.

Die juristischen Details rund um die Definition des Begriffs hearsay, die Zulässigkeitsvoraussetzungen sowie den Beweiswert solcher Aussagen von Hörensagenzeugen sind komplex. Schwierig ist zum Beispiel oft die Abgrenzung des hearsay witness einerseits von der Einführung von Dokumenten als Beweismittel, die (schriftliche) Aussagen Dritter enthalten andererseits. Oder von Tonaufnahmen mit Aussagen Dritter.

Eine ausführliche Darstellung der historischen Entwicklung des Hörensagenbeweises im englischen Common Law bis hin zur Verabschiedung des Civil Evidence Act 1995 bietet der 89-seitige Law Commission Report No. 216 vom September 1993 mit dem Titel „The hearsay rule in civil proceedings“.

Mehr zum Zivilprozess und Wirtschaftsstreitigkeiten (commercial litigation) in England:

Der Autor ist Experte für deutsch-englische Rechtsfälle, insbesondere internationale Zivil- und Wirtschaftsprozesse (civil litigation, commercial litigation) in England sowie für Rechtsvergleichung. Der obige Beitrag ist ein gekürzter Auszug aus dem Kapitel "Der Ablauf des Zivilprozesses in England und Wales: Beweisrecht" des Praxisleitfadens "Der Zivilprozess in England".

Beitragsbild von Sofia Shultz auf Pixabay. Vielen Dank!

Kategorie: ProzessrechtWirtschaftsrechtZivilprozesseHigh CourtAnwaltsrechtCounty Court

Autor
Bernhard Schmeilzl

Bernhard Schmeilzl

Rechtsanwalt & Master of Laws

+49 (0) 941 463 7070 schmeilzl@grafpartner.com

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