
Finanzielle Kompensation und Kostenerstattung für Zeugen bei Zivilklagen in England
In einem englischen Gerichtsprozess als Zeuge benannt zu werden, ist kein Vergnügen. Denn anders als in Deutschland ist es nicht mit einem kurzen Auftritt vor Gericht getan. Vielmehr muss man als Zeugen in einem zivilen Rechtsstreit in England schon Monate vorher für das "proofing of witness" zur Verfügung stehen, was etliche Stunden dauert, in komplexen Wirtschaftsprozessen auch schon mal mehrere Tage. Details dazu hier.
Dann muss man mit den Prozessanwälten an der endgültigen schriftlichen Zeugenaussage feilen ("witness statement"), das inhaltlich absolut korrekt sein sollte, weil man als Zeuge die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser schriftlichen Zeugenaussage mit einem "statement of truth" durch seine Unterschrift versichern muss. Details hier.
Wer vor einem englischen Zivilgericht als Zeuge auftreten muss, investiert hierfür also in der Regel mehrere Tage.
Wer erstattet mir als Zeuge meinen Zeitaufwand?
Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht völlig absurd, dass ein Zeuge in einem englischen Zivilverfahren irgendwann die Frage stellt, wer ihm eigentlich den ganzen Aufwand erstattet und die aufgewendete Zeit (von mehreren Tagen) kompensiert. In Wirtschaftsprozessen sprechen wir ja häufig von Managern oder teuren externen Beratern, die mehrere tausend Euro pro Tag kosten.
Das führt zur schwierigen Unterscheidung zwischen Kompensation für bzw. Erstattung von echtem Zeitaufwand und entgangenen Einnahmen von Zeugen einerseits und einer "Bezahlung" oder gar "Erfolgsvergütung". Während die Erstattung tatsächlich entstandener Kosten (Flug, Hotel, Mietwagen, Essen …) und von nachweisbaren Verdienstausfällen (der Zeuge wäre sonst als Redner auf einer Konferenz aufgetreten und hätte betrag XY erhalten) unproblematisch zulässig ist, wird es kritisch, wenn dem Zeugen eine darüber hinaus gehende (Erfolgs-)Vergütung versprochen wird.
Wo genau die Grenze einer „unreasonable compensation“ liegt, ab derer die Aussage eines Zeugen für das Gericht keine Glaubwürdigkeit mehr hat, weil sie "erkauft" wurde, ist schwer zu bestimmen.
"Erkaufte Zeugenaussagen"
Definitiv unzulässig sind Vereinbarungen mit Zeugen, wonach deren Vergütung vom Ausgang des Prozesses abhängt, siehe als Beispiel das Urteil im Fall Energysolutions EU Ltd v Nuclear Decommissioning Authority [2016] EWHC 1988 (TCC). Solche Erfolgsvergütungsvereinbarungen sind nichtig und der Zeuge kann die versprechene Bezahlung nicht einklagen.
Aber selbst in solchen Fällen liegt es im Ermessen des Gerichts, wie viel Glaubwürdigkeit es einer solchen Zeugenaussage beimessen will. Der zeuge bekommt in diesen Fällen zwar die "finanzielle belohneung" nicht, seine zeugenaussage ist aber nicht automatisch wertlos. Das englische Zivilgericht entscheidet vielmehr, ob und wie viel es diesem "bezahlten Zeugen" glaubt.
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Der Autor ist Experte für deutsch-englische Rechtsfälle, insbesondere internationale Zivil- und Wirtschaftsprozesse, Familienrecht sowie grenzüberschreitende Nachlassabwicklung. Im Beck-Verlag verantwortet er den Länderbericht zum Familienrecht von England und Wales sowie das Praxishandbuch zum englischen Zivilprozess. Dieser Beitrag ist ein gekürzter Auszug aus dem Kapitel "Der Ablauf des Zivilprozesses in England und Wales: Beweisrecht. Zeugenbeweis" des Praxisleitfadens "Der Zivilprozess in England".

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