
"Hostile witnesses" im Zivilrechtsstreit: Wie geht man mit unfreundlichen oder unkooperativen Zeugen um?
Benennung und Befragung feindlicher Zeugen im Zivilverfahren in England
Nach englischer Zivilprozessordnung (Civil Procedure Rules, CPR) müssen beide Prozessparteien die Aussagen aller Zeugen, auf die sie ihren Fall bzw. ihre Verteidigung stützen wollen, bereits Monate vor der mündlichen Verhandlung (trial) in schriftlicher Form, vom Zeugen unterzeichnet und mit einem statement of truth versehen, dem Gericht und der Gegenpartei übersenden (pre-trial exchange).
Die Erstellung solcher schriftlicher witness statements ist aufwendig und verlangt höchste Sorgfalt, weil englische Zivilgerichte sehr ungnädig sind, wenn sich in der mündlichen Gerichtsverhandlung (trial) herausstellt, dass diese schriftlichen Zeugenstatements fehlerhaft, ungenau oder gar zugunsten einer Prozesspartei geschönt sind.
Wie bekommt man eine schriftliche Zeugenaussage von einem "feindlichen Zeugen"
Was aber tun, wenn ein Zeuge schlicht nicht bereit ist, an der Erstellung einer schriftlichen Zeugenaussage mitzuwirken? Entweder, weil er oder sie im Lager des Prozessgegners steht (z.B. Ehefrau oder Bruder des Beklagten war mit in dessen Auto gesessen und soll nun bezeugen, dass der Beklagte bei Rot über die Ampel gefahren ist und dadurch einen Unfall schuldhaft verursacht hat) oder weil der Zeuge schlicht keine Lust hat, an einer mehrstündigen witness proofing Session teilzunehmen, gefolgt von Übersetzungen und einer weiteren witness statement Session.
Manchmal fürchtet ein Zeuge auch negative berufliche Konsequenzen, wenn er etwa ungünstig über einen Vorgesetzten oder über Sicherheitsmängel im Betrieb aussagen soll. Nicht selten ist auch der Arbeitgeber des Zeugen das Problem, weil dieser keine Freistellung gewähren will.
Notlösung „witness summary“ bei unwilligen Zeugen
Hat man es mit solchen hostile witnesses oder reluctant bzw. uncooperative witnesses zu tun, die man auch mit anwaltlicher Charme-Offensive und verbindlicher Zusage der Erstattung aller Kosten und Verdienstausfälle nicht zur Mitwirkung bewegen kann, deren Aussage aber für den Prozessausgang dennoch unverzichtbar ist, dann bleibt nur die Option, bei Gericht die Erlaubnis zur Einreichung einer „witness summary“ nach CPR r 32.9 zu beantragen.
In einer solchen witness summary schildert man als anwaltlicher Vertreter (solicitor) der den Zeugen benennenden Partei diejenigen Fakten, von denen man guten Gewissens (in good faith) glaubt, dass der Zeuge diese in der mündlichen Gerichtsverhandlung später dann bestätigen wird. Auch eine witness summary darf also keine Behauptungen ins Blaue hinein enthalten.
Ist unbekannt, ob ein Zeuge etwas weiß, formuliert man das witness summary allgemeiner und gibt lediglich das Thema an, zu dem der Zeuge befragt werden soll.
Der (unkooperative) Zeuge wird dann auf Antrag einer Partei vom Gericht geladen (witness summons, CPR r 34) und unter Eid befragt. Der Zeuge kann in dieser Ladung auch angewiesen werden, bestimmte Dokumente oder sonstige Beweismittel mitzubringen, die er in Besitz hat, CPR r 34.2(1)(b)
Bei erkennbar schwierigen Zeugen, die voraussichtlich versuchen werden, die Zustellung der Zeugenladung zu vereiteln, kann eine Partei die Ladung auch selbst durchführen; hierfür wird dann meist ein professioneller „process server“ beauftragt, der die Ladung persönlich übergibt und diese Zustellung dokumentiert (personal service); siehe CPR r 34.6(1): „A witness summons is to be served by the court unless the party on whose behalf it is issued indicates in writing, when he asks the court to issue the summons, that he wishes to serve it himself.“
Befragung und Kreuzverhör (cross examination) eines feindlichen Zeugen im Verhandlungstermin
Anders als bei normalen witness statements, die unter bereitwilliger Mitwirkung des Zeugen erarbeitet wurden, genügt bei witness summaries zu Beginn der Zeugenbefragung natürlich nicht die einfache Bezugnahme auf das witness summary, sondern der Zeuge muss zunächst von der benennenden Partei befragt werden und mündlich aussagen (evidence in chief).
Verhält er sich gegenüber dem Prozessvertreter der benennenden Partei in der mündlichen Verhandlung feindselig (hostile witness), kann und wird der Prozessvertreter (barrister) das Gericht um die Genehmigung bitten, den Zeugen nach den Regeln der cross-examination befragen zu dürfen.
Die Vernehmung eines solchen offen „feindlichen Zeugen“, der mauert, ablenkt oder möglicherweise sogar lügt, gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben eines Prozessbevollmächtigten. Das Ziel des die Befragung durchführenden barristers sollte allerdings nicht unbedingt sein, einen „Zusammenbruch“ des gegnerischen Zeugen im Stil des Hollywood-Films „A Few Good Men“(„Eine Frage der Ehre” Columbia Pictures, 1992) zu erreichen, in dem Tom Cruise als cross-examination lawyer Jack Nicholson – gegen dessen Willen – dazu bringt, den illegalen Befehl zuzugeben.
In echten Zivilprozessen – zumal in England – geht es mangels Jury und wegen strengerer Berufsregularien für barrister erheblich weniger dramatisch und laut zu. Ferner ist es extrem selten, dass ein Zeuge, der sich einmal in ein Lügenkonstrukt verstrickt hat, dies im trial zugibt. Das realistische Ziel der Befragung ist daher vielmehr, Zweifel an der Glaubwürdigkeit oder an der Erinnerung des Zeugen zu etablieren, Widersprüche oder logische Fehler herauszuarbeiten, so dass das Gericht dem Wert der Zeugenaussage kein Gewicht beimisst.
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Der Autor ist Experte für deutsch-englische Rechtsfälle, insbesondere internationale Zivil- und Wirtschaftsprozesse, Familienrecht sowie grenzüberschreitende Nachlassabwicklung. Im Beck-Verlag verantwortet er den Länderbericht zum Familienrecht von England und Wales sowie das Praxishandbuch zum englischen Zivilprozess. Dieser Beitrag ist ein gekürzter Auszug aus dem Kapitel "Der Ablauf des Zivilprozesses in England und Wales: Beweisrecht. Zeugenbeweis" des Praxisleitfadens "Der Zivilprozess in England".

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