
Schon ab 10 Jahren sind Kinder und Jugendliche in England strafmündig
Das englische Strafrecht ist im Vergleich zu Deutschland und Österreich erheblicher strenger. Das betrifft die Höhe der Strafzumessung (längere Haftstrafen) ebenso wie den Ablauf des Strafverfahrens (criminal trial), als auch den Justizvollzug (Gefängnisaufenthalt).
So sollen in Deutschland zum Beispiel kurze Gefängnisstrafen nur im Ausnahmefall verhängt werden (§ 47 StGB), weil der Straftäter nicht wegen einer vergleichsweisen geringen Strafe von wenigen Wochen oder Monaten durch den Gefängnisaufenthalt aus dem Leben gerissen werden, seinen Beruf und sein soziales Umfeld verlieren soll.
Die Strafjustiz in England sieht dies traditionell anders: Straftätern soll gerade schon bei einem ersten Delikt durch einen kurzen Gefängnisaufenthalt vor Augen geführt werden, was ihnen blüht, wenn sie weitere Straftaten begehen. Wobei seit 2021 Stimmen auch in der britischen Strafjustiz und aus dem Parlament lauter werden, die an der Sinnhaftigkeit kurzer Gefängnisstrafen zweifeln und stattdessen. gerade bei Jugendlichen - stattdessen für "rehabilitative community sentences" plädieren. Zu dieser Diskussiun um "short jail terms" in England siehe hier: BBC Artikel vom 29.11.2023, sowie den UK Parliament PostBrief 52 vom 27.7.2023. Das Thema bleibt aber umstritten. Manche halten die Abschreckungswirkung kurzer Gefängnisstrafen nach wie vor für erstrebenswert.
Abschreckung versus Rehabilitation im englischen Strafrecht
Traditionell ist der Ansatz der englischen Strafjustiz: frühzeitige Abschreckung durch (im Vergleich zu Deutschland) hohe und harte Strafen. Das wird auch belegt durch das erstaunlich niedrige Alter der Strafmündigkeit, nämlich 10 Jahre, also Schüler der 4. oder 5. Klasse.
Ferner sind Jugendstrafgerichte (Youth Courts) nur zuständig, so lange bis der angeklagte Jugendliche zwischen 10 und 17 Jahre alt ist. Anders als in Deutschland kommt es also nicht auf das Alter bei Tatbegehung an, sondern darauf, wie alt der Angeklagte bei Beginn des Strafprozesses ist. Details zur Zuständigkeit des englischen Jugendstrafgerichts hier: Youth Court in England and Wales.
Ab dem Alter von 18 Jahren wird immer vor dem Erwachsenengericht verhandelt, entweder am Magistrate's Court oder Crown Court. Und bei schweren Straftaten findet sich der jugendliche Angeklagte sogar dann am Crown Court wieder, wenn er jünger als 18 Jahre ist.
Gerät man als Deutscher also ins Visier der englischen Polizei oder Strafjustiz, etwa weil man in Großbritannien mit Drogen erwischt wurde, sollte man das auf keinen Fall unterschätzen. Delikte, die in Deutschland als Bagatellelikte eingestellt werden, führen in England unter Umständen zu Haftstrafen.
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Der Münchener Rechtsanwalt Bernhard Schmeilzl ist seit gut 25 Jahren Experte für deutsch-britisches Recht. Er berät Mandanten und Anwaltskollegen bei grenzüberschreitenden Fällen, betreibt mehrere Expertenblogs zum deutsch-englischen Recht und gefragter Interviewpartner zu Fragen des englischen Rechts, etwa zum Justizskandal rum um die wohl unschuldig zu 15 Mal Lebenslänglich verurteilte englische Kinderkrankenschwester Lucy Letby.

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